Magdalena von Dobeneck née Feuerbach
Briefe aus Irland
1.
p.29Vor wenig Stunden, es war eben 11 Uhr, spielten Lady und ich ein Duo, sie die Harfe und ich das Klavier. Da steht sie plötzlich auf, geht in das Nebenzimmer — ich höre sie laut sprechen — sie tritt herein mit den Worten: Ich muß Ihnen nur sagen, Liebe! daß wir in acht Tagen zusammen nach Irland reisen. Vor Erstaunen war ich sprachlos geworden. In acht Tagen? nach Irland? Daran lerne ich nun wie ein Kind an der Lection. — Die Engländer entschließen sich schneller zum Reisen, als wir Deutsche. Da wird keine Karte, kein Kalender, kein Wetter und keine Geldbörse zu Rathe gezogen. "Sophiens Reise von Memel nach Sachsen" 1 war weiland etwas Erstaunliches, ja, der deutsche Peter in der Fremde kehrt schon am Kreutzweg wieder um, während so ein reiselustiger Engländer stracks in den Krater und in den Rheinfall fährt. — Von nun an müssen Deine Gedanken und Briefe einen weiten Weg machen — werde nur nicht müde, liebster Vater! The House oder das Schloß, welches wir bewohnen werden, soll dicht bei der Stadt Dungannon,
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hoch im Norden, nur zwölf Meilen vom Meere entfernt liegen. 2 Es wird mir wohl unmöglich seyn, Dir noch vor meiner Abreise zu schreiben, und so erlaube mir denn, Dich, ehe ich auf dem Meere dahin schwimme, noch zu küssen, so wie ich die liebe Mutter, Brüder und Schwestern in herzlicher Liebe umarme. Könnte doch ein Schiffchen mich zu Euch tragen, statt in die weite Ferne hinaus! Doch warum Unmögliches begehren?
“Träget das Schicksal Dich, So trage Du wieder das Schicksal.”
“Folg' ihm willig und froh; willst Du nicht folgen, Du mußt.”
2.
Dungannon, am 1. Mai.
Nach einer fünfzehntägigen Reise langten wir endlich den 28. April im Schlosse Dungannon an. Ich war des Nomaden-Lebens müde, und herzlich sehnte ich mich nach Ruhe. Es ist doch wahr, daß nach allem Gesehenen und Interessanten dennoch zuletzt die Heimath das Theuerste ist. Zur Heimath aber wird mir jeder Ort, wo ich leben muß, da meine eigentliche ich für jetzt entbehre. Den 12. April nahm ich Abschied von meinen Freunden in Paris, und trennte mich, an die Wüthende Cholera gedenkend, nicht ohne Wehmuth von ihnen. Ich hatte mich in der letzten p.31 Zeit besonders einer liebenswürdigen Pariserin, Mlle. Jenny V... recht innig angeschlossen, und außerdem im Kreise edler Menschen viele Liebe erfahren. So geschieht es denn freilich immer, daß man ein Gut erst dann recht zu schätzen weiß, wenn man im Begriffe steht, es zu verlieren.
Freitag den 13. trugen uns vier rasche Pferde von dannen. Lord und Lady, der freien Luft zu genießen, saßen auf dem sogenannten siège, neben mir im Wagen meine liebliche Miß Emily und die Kammerfrau. Der Bediente, ehemaliger Courrier Carls X., flog nun unsrem Wagen voran. Meine Nachbarin verhehlte nicht, mir alsobald ihre Besorgnisse wegen der Reise mitzutheilen. Welch ein Unglückstag ward zur Abreise gewählt! so rief sie in französischer Extase aus — es ist Freitag und überdies der 13te. Ich bemühte mich freilich, ihr dergleichen Sorgen auszureden; aber heimlich war ich, offen gestanden, durchaus kein Freigeist. Kaum hatten wir zehn Meilen zurückgelegt, so fing es auch richtig schon zu spuken an. In einen Graben fanden wir den Courrier gestürzt, während sein Pferd, das ihn abgeworfen, gedankenvoll daneben stand. Der Arme ward in das nächste Städtchen der Picardie gebracht, wo man ihn für einen Cholera-Befallenen hielt, erst nicht aufnehmen wollte, und ihn endlich als Cholerakranken kurirte. — Wir mußten ihn zurücklassen, und unsere Reise einstweilen bis Calais fortsetzen. Die erste Nacht blieben wir in Rennes, die zweite in Calais. Am nächsten Morgen gab es ganz kleine Seekrebschen zum Frühstück; ich frisch drauf los, nehme meinen Löffel, und verschlinge p.32 ein halbes Dutzend mit einem Mal. Das Ding wollte mir doch nicht so recht schmecken, ich machte ein saures Gesicht und wollte eben abermals eine ganze Compagnie hinabdrücken, da riefen Lord und Lady in lautem Lachen: Halt! Halt! nur die Schwänzchen! Und nun mußte der Seeneuling einen anatomischen Lehrkursus durchmachen. Um neun Uhr fuhren wir an den Hafen, um uns dort einzuschiffen. Der Anblick so vieler Schiffe, das zarte und doch so majestätische Gebäu derselben, dann die Menge von rauchenden Dampfschiffen, welche nach allen Gegenden hinbrausten, versetzten mich in eine neue Welt. Um ja mich keinen Augenblick von diesem Schauspiel zu trennen, blieb ich auf dem Verdecke. So lange ich noch mir zur Rechten und zur Linken ein Streifchen Land sah, ging alles gut. Kaum war ich aber auf offner See, und es mußte mein Körper die mechanische Bewegung der Wellen mitfühlen, so wurde es mir doch jämmerlich zu Muthe. Ein kalter Schweiß rann mir von dem Gesichte, und Frost durchschüttelte mich. Der Kapitain, dies bemerkend, wickelte mich in einen Matrosenmantel. Da saß ich, die traurigste Gestalt von der Welt, und beklagte das poetische Fieber, weil ich es mit einem ziemlich reellen vertauschen mußte. Um halb ein Uhr segelten wir der englischen Küste zu. Der Anblick der grauen Felsmassen wirkte versöhnend auf mich; frisch und munter sprang ich auf, durchdrungen von Begeisterung. Wir kamen näher — rechts auf starrem Felsen ruht ein Bild der Vorzeit, ernst und majestätisch, die Festung (Castle of Dover), ihr zur Seite freundliches Land, grüne Berge, im Halbkreis die Stadt und nun die vielen p.33 Schiffe, die nach allen Seiten hinsegeln, dort Nachen, die auf den Wellen spielend schaukeln. Wir landeten. Vieles Volk war an dem Ufer versammelt, um die Ankömmlinge des Crusaders zu begaffen. Nie vergesse ich den Eindruck der ersten englischen Stadt. Die Häuser sind von kleinen Backsteinen erbaut, und durch Ruß und Zeit beinahe dunkelbraun; breite Fenster mit kleinen Scheiben von Spiegelglas, die Dächer von Schiefer und fast glatt, und die hohen Schlöte geben jedem Hause ein burgähnliches Ansehen. Hier sieht man nicht portes cochères wie in Frankreich; die Häuser haben schmale Thüren, und in Dover, wie in den kleinen Städten, stets ein allerliebstes Gärtchen, in London, Dublin, Liverpool aber statt Gärten eine Art Barrikaden von Eisengittern zu beiden Seiten. — In Dover blieben wir einige Tage bei Lady R ..., der Urgroßmutter meiner geliebten Emily; sie war sehr gütig gegen mich, und ich gewann diese edle Dame innig lieb. Wir gingen in einige Kaufläden, denn sie beschenkte mich mit einem Apparat der feinsten Farben und Papiere, und lehrte mich eine Art orientalischer Malerei. Wie vergnügt war ich in Dover! Mein Zimmer hatte zur Aussicht das Meer — von meinem Schreibtisch aus weidete ich mich an den Schiffen, die bald näher, bald ferner hinsegelten. Meine größte Freude war, dicht am Meere die köstliche Luft einzuathmen; oft war ich selig und jauchzte vor Entzücken, wenn die Wellen erst ganz lose, dann stärker und stärker, endlich mit ihren gewaltigen Armen herüber langten und brausend wieder zurücksanken. Oft wagte ich mich so nahe, daß ich leicht hätte mit fortgerissen werden können, und weißer p.34 Schaum meine Füße bedeckte. Aber was hätte ich nicht gleich Alles um des Meeres willen erduldet! Das prosaische Fieber war ja längst vergessen, und nun war ich fröhlicher als ein Kind. Emsig las ich mit Emily die bunten Steinchen auf, als wären es Diamanten. Am Montag machten wir eine Spazierfahrt in die Umgehend. Auf dem hohen Felsen der Festung umschloß ich mit einem Blick das liebe Meer, die Küste und Dover.
Nur abgebrochen kann ich dir schreiben, lieber Vater, da meine Berufspflicht den größten Theil des Tages in Anspruch nimmt. Gestern verließ ich Dich in Dover, und heute muß ich Dich bitten, mich nach London zu begleiten. Von der liebenswürdigen alten Dame trennte ich mich ungern. Das Alter ist mir stets ehrwürdig, besonders wenn Herz und Geist noch Frische des Lebens athmen. Mittwoch reisten wir ab und kamen durch Rochester und mehrere Städte, wobei ich im Vorbeifahren oft mit Sehnsucht die schönen Kirchen begrüßte, ohne ihre Schätze besehen zu können. Abends, den 17. April 3 langten wir in London an. Wir fuhren und fuhren durch endlose Vorstädte, und wenn ich fragte: dieß ist aber doch London? hieß es nur immer: wir sind noch in den Vorstädten: — unabsehbare Ebenen mit einem Dutzend Nürnbergs und noch nicht London? Mein Kopf schwindelte. Paris kam mir, als einer Quasipariserin, nur wie eine ziemlich große Stadt vor, und die Lebhaftigkeit seiner Straßen wie Kinderpossen, gegen die von den Vorstädten Londons. Welche p.35 Fluth von Fußgängern, Reitenden! Welches betäubende Gerassel der Postwagen, Equipagen! Man kann Paris denken, aber London? — Endlich hielt man an Barrieren — abermals Vorstädte. Dann geht es über die große Londoner Brücke, über die Themse. Ich sehe links durch Wolken von Nebeln die Thürme der St. Paulskirche und andere — wir fahren durch endlose Straßen, die so breit sind, daß allein die Trottoires von beiden Seiten breite Ansbacher Karlsstraßen abgegeben hätten, und bei allem Gewühle, Gefahre, wie reinlich sind die Straßen! Das schien mir der einzige Vorzug vor Paris, denn was nützen mir wohl Paläste und schöne Straßen, wenn ein stinkender Nebel und eine finstere Luft dergestalt meine Seele in Melancholie einhüllen, daß die Bewunderung gar nicht hindurch kann? Ja, die Sonne in England schielt. Da wußte ich erst, wie lieb mir Paris geworden war, und das harmlose, fröhliche Leben und Treiben auf den Boulevards! Hier schleichen die Meisten düster und lebenssatt an einem vorüber; jeder scheint in sich selbst versunken, an einem schweren Rechnungsexempel zu kauen. Doch ist dies nicht zu voreilig? Es war dieß der erste Eindruck von London, den mir aber die lieben Menschen, die mich umgeben, schon lange vergessen gemacht haben. Gewiß werde ich mich noch mit England befreunden. Fragt ihr mich, meine Lieben: aber was hast du denn Merkwürdiges in London (nach Pitt: the emporium of the world) gesehen? so antworte ich: endlose Straßen, prächtige Paläste, Squares (große Rasenplätze in Mitte der Stadt), den James-Palast, der einer Frohnveste frappant p.36 ähnlich sieht, überaus schöne Magazine, und dann machten Lady, Miß Emily und ich bei den hohen Verwandten Visiten. Da der Wind an diesem Tage, mehr als je, den Steinkohlendampf der Schlöte in die Straßen hinabjagte, so kam ich stets mit einer rußigen Schmarre im Gesicht nach Hause — et voilà les souvenirs de Londres! Wollt ihr wissen, wie ein Londoner House des hohen Adels aussieht? Nun denn! Beim Eintritt sitzt gemächlich ein gepuderter Portier, alle Bediente in Livree, gepudert; man geht die breite steinerne, mit Teppichen belegte Stiege hinan, erst ein schöner Vorsaal, ihm zur Seite der eigentliche Salon der Herrin, der so groß wie euer Ansbacher Casino-Saal sein mag. Hier stehen unten zwei, oben zwei, in der Mitte wieder zwei Sofas, vor jedem bald ein runder, bald ein viereckiger Tisch; auf diesem liegen Stickereien, auf jenem Kupferstiche, hier Bücher, dort Blumenmalereien; die Wände sind mit Gemälden geziert, Nischen mit Büsten aus den Werkstätten Italiens; in jener Ecke eine kleine Orangerie, Porzelainvasen, Candelabers u. dgl., Da herrscht eine ordentliche Unordnung und eine unbequeme Bequemlichkeit!
Den Charfreitag brachte ich still in London zu, und es war mir lieb, daß wir, wegen der Feier dieses Tages, keine Besuche machten. Abends speiste ich mit Mylord R ..., dem Schwiegervater der jungen Lady. Dieser liebenswürdige Greis erinnert mich oft an unsern Freund Tiedge, der auch trotz seiner Jahre kein Alter hat. Mylord meinte, wohl deswegen, weil ich etwas englisch sprach, ich sey schon ganz: like an English Lady und nicht mit p.37 Unrecht, denn was den flüsternden Zwitscherlaut dieser Engelssprache betrifft, so ist er schon ganz mir eigen. Ja, sogar bei dem Artikel the, dieser gefährlichen Organsklippe, fängt meine Zunge bereits an, die gehörige Schwungkraft zu entwickeln. Bei Tische weiß ich nun auch das: no, thank you! (Nein, ich danke Ihnen!) und das yes, thank you! (ja, ich danke!) richtig anzuwenden. Ich Arme! So oft mir der Lord sonst ein Stück blutigen Hammelsbraten (meine Antipathie!) anbot, sagte ich als Verneinung schlechtweg thank you! Nach englischer Sitte heißt dieß Ja! und somit bietet er mir ein Stück um das Andere an, bis endlich, den Irrthum merkend, ich zu meinem thank you! so wie es die Form gebietet, noch ein No! hinzusetze. Nun erst war ich von der Verfolgung des blutigen Schlachthammels erlöst. In Paris ging es mir nicht besser. Wenn Mary kam und des Morgens den Kamin mit Steinkohlen füllte, fragte sie mich auf englisch: ob das Feuer mir so recht wäre? Aber weil ich sie nicht recht verstehe, so sage ich No! (nein!) wo ich hätte yes! (Ja!) sagen sollen. Wenn ich also vor Hitze verschmachtete, schürte sie immer mehr und wenn ich fror, löschte sie gar die Kohlen aus. —
Ehe ich von London abreise, muß ich Dir, lieber Vater! doch auch ein englisches Diner beschreiben, damit, wenn ihr allenfalls einmal einen Lord zu bewirthen habt, ihr auch wißt wie, und wann. Die Stunde des Diner ist gewöhnlich Abends sieben Uhr. Sieben Uhr? hör' ich rufen! nur gemach! Es kommt nur darauf an, die Sache beim Licht zu betrachten. Ihr soupirt Abends um acht p.38 Uhr, nicht wahr? Nun denn! dieses Souper nimmt der Engländer um Ein Uhr und tauft es um und nennt es luncheon und nimmt abermals Euer Diner und verzehrt es statt um Ein Uhr zur Stunde Eures Soupers. Hierin liegt das große Geheimniß. Die Gerichte kommen mit schönen, silbernen Deckeln auf die Tafel, der Lord tranchirt und servirt selbst; kräftige Suppe, dann Fisch, Cotelettes, Blumenkohl (wozu die Sauce apart gegeben wird), dann eine Rinds- oder Hammelskeule, im Blute schwimmend, scharfen Senf, chicken das heißt Hühnchen; niemals aber Salat, weil dieser den rothen Wangen der Damen könnte schädlich seyn. Den Pudding nicht zu vergessen, der oft nichts weiter als ein Matsch ist, und dann verdient noch der orangegelbe Chester-Käß genannt zu werden, und etliche Pfefferbüchsen. Dabei fließt Ale oder Porter in die Gläser und Madeira-Wein in Menge. Ich lobe mir ein Gläschen Ale, es ist dieß nicht der Saft der Berge, nicht eure schnöde Bierlatwerge, nein! etwas viel edleres! Nach Tische wirft sich Jedes auf ein Sopha, an denen es nie mangelt; man dämmert oder schläft in süßem Frieden. Hie und da seh' ich sogar ganz idyllisch auf Teppichen einen blonden Britten zu den Füßen einer Schönen gelagert. Diese Sitte kam mir etwas spanisch vor, und ich fragte ganz einseitig kürzlich die geistreiche Lady S ... ob diese Digestions-Partien etwa aus Spanien oder sonst woher sich nach England verpflanzt hätten? Geben Sie mir Bescheid, sagte ich, ich schreibe ein Tagebuch — alles wird notirt. “Mein Gott!” rief sie aus. “Nun! machen Sie es nur nicht wie der Verfasser der Briefe eines Verstorbenen, p.39 der, nachdem er es sich hatte bei uns wohl seyn lassen, davon geht und uns in seinen Schriften lächerlich macht.” 4 Ich beruhigte sie damit, daß, auch ohne Mitglied eines Mäßigkeits-Vereins zu seyn, ich, als Dame, die Laune in Schranken zurückzuweisen für Pflicht hielte.
Wir reisten Samstag den 21. April von London ab. Die Paläste, längs dem Regents-Park, sind in edlem Styl, prächtig anzusehen, und nicht ganz war ich es zufrieden, daß die Pferde wie toll dahinflogen. Denkt Euch, daß wir in drei Stunden zwei und dreißig Meilen zurücklegten. Statt unsrer schwerfälligen deutschen Postillone schwingen sich hier schnell auf die bei jeder Station bereitstehenden Pferde kleine Jockeys; sie sind leicht und knapp gekleidet, geschmückt mit einer scharlachrothen Jacke und rothem Käppchen. An einer Station versagte man uns die Pferde, da alle bereits engagirt wären, einer von einem englischen Ritter entführten Dame nachzujagen. — Die Pferde werden, wie an Equipagen, leicht geschirrt. Nur mit dem famösen Meilenstiefel unsrer Mährchenwelt kann ich diese kühne, fliegende Reiseart vergleichen. Wir übernachteten in Dunstable, dann in Litchfield und Montag in Warrington. Die ganze Reise durch England fand ich reizend und eigentümlich. Hügel mit saftigem Grün, smaragdne Wiesen, auf denen stattliche Heerden weiden, und alle Bäume sah ich von dem Stamm bis zu den kleinsten Nebenzweigen mit breiten Epheublättern bedeckt. Auch ist das kleinste und größte Haus der Dörfer reich und malerisch mit Epheu bewachsen. Reinlich glänzen zwischen dem dunkeln Grün die blanken Fensterscheiben und hinter diesen sieht man p.40 frische und liebliche Gesichter. Doch mit all diesem tragen Englands Gegenden einen auffallend düstern Charakter; es fehlen hier: Luft und Sonne. Grauer Himmel, rothbraune Häuser, dunkles Epheugrün und nichts als Dunkel und Schatten geben kein heiteres Gemälde. Darum ist es gut, daß der Engländer, statt den Glanz der Sonne, doch wenigstens den des Goldes hat.
Dienstag speisten wir in Liverpool, einer ansehnlichen Stadt. Die Luft war verdichtet durch die Rauchsäulen der vielen Fabriken — ich sah und sah nichts. Um halb vier Uhr fuhren wir an den Hafen. Die große Menge von Schiffen, weit mehr als im Hafen von Calais, setzte mich auf's Neue in Erstaunen. Wir flogen dahin in einem schönen Dampfschiffe, Irland zu. Der hohe Leuchtthurm, an dem vergebens die Wellen mit Ungestüm sich brachen, gefiel mir sehr, wenn ich dachte, daß er Hülfe und Trost gewähren kann. Links sah man viele spitze Felsen, als Zeichen gefährlicher Stellen. Wirklich gilt die Irländische See für eine der gefährlichsten und ist heimtückisch genug — oft stranden hier Schiffe. Ich plauderte und spielte mit Emily ganz munter auf dem Verdecke, und wollte nichts von Seekrankheit wissen. Ich machte es wie damals in meinen Kinderjahren, wo, so oft mich im dunkeln Zimmer Gespensterfurcht beschlich, ich anfieng laut zu singen, als wäre ich die größte Heldin. — Die Sonne ging blutroth im Meere unter. Hinter mir, gegen Liverpool, einen von Rauch und Nebel geschwärzten Himmel — rechts die offene See, links noch die Aussicht auf bewohnte Ufer hin, Berge, Schlösser, Städte und Dörfer. — p.41 Um acht Uhr kroch ich in die Cajüte. Ach! wie ward mir! Ich sprang von dem Bett auf das Sopha, von da in's Bette. Ich seufzte, ich stöhnte, und gern hätte ich auch die Seele übergeben, so lebenssatt war ich. Columbus hatte sicher nicht so freudig das Land begrüßt, als ich den Hafen von Kingstown. Wir kamen in Dublin um acht Uhr Morgens an, und blieben bis Freitag. Da will ich nun auch Halt machen, und selbst das Verlangen, Dir noch mehr vorzuplaudern, kann mich keinen Schritt mehr weiter bringen. Eben schlägt es eilf Uhr; ich fühle zu sehr das Bedürfniß, mich nun von meinen Heldenthaten durch den Schlaf zu erholen. Ich kann nicht mehr denken, und viel weniger schreiben. Schon zweimal ist mir die Feder aus der Hand gefallen. Ein gelehrter Tintenklecks prangt gleich einem Schönheitspflästerchen auf dem rosigen Antlitz meines englischen Briefpapiers — ein zweiter sammelt sich drohend in meiner stolpernden Feder. Könntest Du mich sehen, Du hättest Mitleiden, und würdest rufen: bon soir, dormez bien!
3.
Am 2. Juny.
Dublin ist ganz im Style von London und die Eindrücke, die es mir gab, dieselben wie dort; nur sah ich unaufhörlich die Leichenwagen rollen, denn die Cholera ist auch hier, wie in Paris, nicht schonender. Ich gedachte jenes Landmanns, der vor dem Thore von Paris unsrem Wagen nachrief: lauft nur der Cholera aus dem Weg, sie holt euch doch ein! — Wir reisten abermals an einem p.42 Freitage ab und nun ging es durch die irländischen Trauergefilde dem Schlosse zu. Wir übernachteten in Newry. Trotz der eiligen Reise, mußte ich mich wundern, stets die Diners zu derselben Stunde und in der nämlichen Form servirt zu sehen, wie dies zu Hause geschah. Auch das Ale fehlte nicht. Ich gedachte diesmal dabei des einzigen Biertrinkers: Jean Paul. 5 Ein simples baireuther Bier reichte hin, ihn so zu begeistern, daß er den Humor der Engländer trefflich nachahmte; aber wie viel dunkler und tiefer würden seine Werke für die gefühlvolle Welt seyn, wenn er seine Poesie auf englischen Boden, an eine Alequelle verpflanzt hätte. — Überhaupt, lieber Vater! muß ich herzlich lachen, so oft ich mich gewisser deutschen Jungfrauen erinnere, die bei den humoristischen Stellen Jean Pauls verschämt ihre Gesichter verhüllen, während sie bei den gefühls-schwülstigen Phrasen ihm, zu Thränen gerührt, den Lorbeer reichen, und fast sich in Äther auflösen. Ihr liebstes ambrosianisches Futter ist z. B. folgende Stelle aus Titan: “Die schönen Frühlinglüfte ihrer geendigten Liebe ließ sie wieder wehen, aber in höherer Stelle, es waren dünne, milde Äther-Zephyre, Blumen-Hauche. Ihre Thränen entfloßen so süß wie Seufzer, wie Abendroth — wie man selig-wogend sinkt in heitern Träumen, so floß sie mit schimmerndem Körper-Gewand aus dem Todesfluße, lange getragen, langsam angezogen!" ”
Jean Paul ist, wie ich meine, wahr, wenn er witzig ist, und so gefällt er mir; aber seine sentimentalen Ergüße kommen mir vor, wie die Nachwehen eines sogenannten p.43 Katzenjammers, wie der Dampf einer geöffneten Champagner-Flasche. Humor aber ist ein feuriger Wein. Seinen ganzen Kram süßer Empfindungen überlasse ich ihm, und jenem zarten Jungfrauen-Chor. Von etlichen sagt man sogar, daß sie ihrem Meister Jean Paul einst so sehr huldigten, daß sie sich von des Dichters Spitzhund, seinem beneideten Compagnon, Haare abgeschnitten, um sie, in ein Medaillon eingefaßt, am Hals zu tragen. — Es giebt Krankheiten, die man Knochenerweichungen nennt; so möchte ich auch die Empfindsamkeit eine seelenerweichende, markverzehrende Krankheit nennen. — Daß aus der Schule der Empfindsamkeit (die Schwester der Lüge) sogar große Verbrecher hervorgegangen sind, hast Du, lieber Vater! hinlänglich in Deinem Werke: Criminalfälle 6 bewiesen. Auch sind ... Eben kommt meine Emily, das liebe Kind, herein, singend, und hält einen Stecken in der Hand, den sie vorgiebt, in Taminos Zauberflöte verwandelt zu haben. Die Töne, welche sie ihr entlockt, sind eben nicht zauberisch — o weh! mir schwindelt! Da ist an kein Schreiben mehr zu denken — sie schlingt das Ärmchen um mich und küßt mich auf die Stirne.
Adieu! Mein nächstes Ruhe- und Mußestündchen wird Dir angehören.
Am 28. April langten wir in Dungannon an. Welch ein Unterschied, England und Irland! Welche armselige Hütten! sie sind von Erde gebaut, aus dem Strohdach p.44 dampft der Rauch — selten ein Fensterchen — statt der Thüre eine kleine Öffnung, und Menschen und Thiere wohnen hier beisammen. Es sind dieß die Hütten roher Wilden. Etliche Männer, in braunem Frack, halfen mühselig den Pflug ziehen, platte Gesichtsbildung, unförmlichen Mund und Lippen, rothe, struppige Haare und fletschende Zähne — aber dort jener Jüngling, und dieser Kreis von Frauen, welche edle, wilde Gestalten! — Auch die Natur ist voller Contraste. Hier ein reiches Herrenhaus mit stolzen Alleen, dort ein steiniges Ackerland, das mit Mühe nur Kartoffeln trägt. — Das Schloß von Dungannon liegt mitten in einem Park, der voll der schönsten Anlagen ist. Wo sah ich jemals schönere Bäume? Gerne ruht das Auge auf den sanft gewölbten Bergen und erquickt sich wieder an den glänzend grünen Wiesen, an dem Haine von Epheubäumen. Den großem See umstehen feierlich breite Eichen und Silberpappeln; schlanke Birken und Trauerweiden wiegen ihre Zweige und neigen sich auf den feuchten Grund. Ich gehe weiter durch das dichte dunkle Wäldchen, und pflücke hin und wieder eine mir noch unbekannte Pflanze. Schon schimmert durch die Zweige das Licht des scheidenden Tages — ich bin allein — die Zaubermährchen der Vorzeit und Irin's Barden ziehen an mir vorüber, und wie die Töne sanft verklingender Harfen streift der Abendwind durch die Gipfel der Bäume; riesenhafter erscheinen sie mir und dichter umschließen sie mich — fort! fort in's Freie! Längs dem Hügel, auf schmalem Fußpfade seh' ich einen Hirtenknaben, der seine Heerde nach Hause treibt; er kommt näher, grüßt mich p.45 und ich ihn wieder; da geh' ich mit ihm weiter, und frage ihn mancherlei: was treibst Du denn zu Hause? kannst Du lesen, und was liest Du? "Die Bibel!" sagte ernst und lächelnd der Knabe, dabei klopfte er dem nachtrabenden Hammel derber auf den Rücken, grüßte noch einmal, und verschwand seitwärts im Gebüsche, während ich durch das Tunnel (es ist ein Gang durch einen Hügel geführt) über die große Wiese nach dem Schlosse zurück eilte. Die Erscheinung des Hirtenknaben, seine bedeutungsvolle Antwort ist dem Strudel, wie er mich jetzt umgiebt, völlig entgegen; doch nur um so tiefer ist der Eindruck, den ich dadurch empfangen; ich beneide sein Loos, ach! und fühle, wie eine nie zu stillende Sehnsucht am Mark des Lebens zehrt! —
Gestern überreichte man mir einen Brief aus Paris, und sogleich erkannte ich die stolpernden Schriftzüge des Maestro Gomis der mir meldet, daß seine neuste Oper, für die große Oper in Paris componirt, den ersten Januar soll aufgeführt werden. 7 Da er mich in seine Ideen hierüber eingeweiht, so sehe ich der Entstehung dieses genialen Werkes mit Liebe und Theilnahme entgegen, wie es mir, als seiner Schülerin, zukommt. — Der Componist steht, in meinen Augen, bei weitem höher als der blos executirende Künstler. Dieser ist nur allzuoft das Instrument seines Instruments, nichts weiter. Seine Seele sitzt entweder in den Fingern oder in der Kehle; ein andres Wesen, als er selbst, produzirt und so bleibt er — ein materielles Klümpchen Erde. Der Seele des Componisten aber ist die Melodie beigegeben, und ewige Harmonieen p.46 schafft sein denkender Geist. — Mit nicht geringem Schrecken bemerke ich meine Geschwätzigkeit, und doch ist meine Litanei noch nicht zu Ende. Gomis schreibt mir auf ganz lakonische Weise, die ihm so eigen: Je pensais vous faire une surprise à votre retour, mais comme j' aime à donner víte, je vous avertis, que je viens de publier une chanson espagnole dédiée a Mme de D ... Schade! daß diese Composition sich schwerlich zu einem Ansbacher Verleger verirren wird, während sie bereits nach dem spanischen Amerika segelt. Der Brief ist ganz er selbst, voll Sonderbarkeiten, und doch vernünftig, klar und kindlich.
Nach der Constellation des irischen Himmels zu schließen, so werden wir wohl noch fünf Monate hier verweilen. Das hiesige Klima aber ist nicht mein Freund. Schon ist der Juny da, und noch lodert in den Kaminen das Feuer. Jeden Tag muß es regnen, das ist so herkömmlich. Die durchgepeitschte Seeluft, schlaff und kühl, ist zwar das beste Mittel den Teint zu verschönern (nach dem Grundsatz der Damen), aber der Körper selbst leidet nur desto mehr. Meine Natur, die etwas löwenhaft ist, wird, mit Gottes Hülfe, auch diesen Einflüßen widerstehen können. Um mich zu wärmen, durchwandle ich zuweilen das schöne Treibhaus; die Erzeugnisse Indiens und Amerika's sollen mich für den weinerlichen Himmel Irlands schadlos halten.
p.474. X
Dungannon, am 10. Juni.
Endlich hat Dein Briefchen zu mir den Weg gefunden. Die lange Entbehrung dieser Freude machte mir sein Erscheinen nur noch dankenswerter. Deine Entschuldigung aber, Du wüßtest nicht, was Du mir schreiben konntest, laß ich nicht gelten. Freilich die Tagesneuigkeiten Eures Ansbach oder Onolsbach (fängt an mit O! und schließt mit Ach!) interessiren mich so wenig, als wenn die Sterne sich schneuzen. Ich liebe dich zärtlich, und innig meine gute Mutter und Geschwister, weshalb schon ein Gruß von meinen Lieben hinreicht, mich mit Freude zu überschütten. Das Unwohlsein meiner lieben E ... 8 ängstigt mich etwas, und wenn ich mich tröste, so ist's durch den Gedanken, daß nach beendigter Bleichsucht die rothen Wangen verdoppelt wiederkehren, und daher manche Eitle sich eine solche Rosenbleiche wünschen würde.
Das ruhige Andante unsres Landlebens scheint sich plötzlich in ein Allegro vivace zu verwandeln. Concerte und Bälle wechseln ab, und meine Aufgabe ist, nach beendigtem Unterricht mich zu putzen und als Sängerin zu figuriren. Das Schloß des Earl of R ... könnte aber auch billig der Residenz eines deutschen Herzogs an die Seite gestellt werden. Morgen ist großes Dejeuner dansant in dem House eines Edelmanns unsrer Nachbarschaft. Werd' ich dem lästigen Tanzen entschlüpfen können? Dieß bleibt mir nun einmal das größte Opfer, exigé par la p.48 société! Doch dienen mir solche Versammlungen, mein Studium in der Physiognomik zu erweitern; manches wird notirt, und eine stille Beobachterin kann leicht aus der Schale den Kern lösen. Von allen Originellen, die ich bis jetzt gesehen, ist jener Edelmann mir der Merkwürdigste. Du kennst mein glückliches Organ, Ähnlichkeiten zu entdecken; aber diesem einen Doppelgänger zu finden, wäre mir unmöglich. Er tritt ein; seine Verbeugung gilt für tausende, denn mager, beweglich wie er ist, klappert Alles an ihm, ja die leiseste Bewegung seines kleinen Fingers macht der ganze Mensch mit. Er spricht, und sein Mund hat die Form eines mathematischen Dreiecks oder einer altdeutschen Schnippe 9 , doch was spricht er? witziges Zeug, was seine Natur ist. Er mag sechs und dreißig Jahre alt seyn, ist eher groß als klein, hat schwarze Haare, kleine listige, blaß graugrüne Augen, längliches fast regelmäßiges Gesicht, keine Lippen, blauen Bart, gute Zähne. Dieß Ensemble sah ich noch nie, sonst würd' ich, wie oben bemerkt es vermöge meiner Vergleichungssucht einem andern Menschenkinde vergleichen. Er ahmt trefflich den Ton der deutschen und französischen Sprache nach, ohne ein deutsches oder französisches Wort zu nennen. Vorgestern spielten wir in der Galerie aux graces (kleine Reife, die man sich zuwirft und mit zwei Stäbchen auffängt,) zufällig fällt von dem danebenstehenden Tische ein Journalblatt, er hebt es auf, schnell ist's in Form eines Schleiers aufgestülpt, ein Stuhl wird zum Kahn, die beiden Stäbe seine Ruder und nun ruft er, so zart als möglich: voilà l'amour dans un bâteau. Sein p.49 Französisch aber durchschneidet einem die armen Ohren; je mehr Mühe er sich giebt, je toller stolpern die Worte einher. So fragte er mich neulich in allem Ernst: tous-ceux qui sont morts du cholera à Paris, ont ils été tous enterrés dans la chaise percée? (statt Père la chaise)? Auch Andere liefern ihre Anecdoten. Eine englische Dame hielt kürzlich für höchst unschicklich, daß unser Schooßhündchen zur Hälfte geschoren, folglich halb nackt einher gehe. “Man muß ihm Höschen anziehen,” sagte sie. Bekanntlich haben es die Engländerinnen in der Decence so weit gebracht, daß sie um Alles nicht in Gegenwart eines Andern das Wort: “Hemd” aussprechen würden, während man doch oft in der Anordnung ihrer Toilette nicht eben die größte Strenge beobachtet sieht. — Ein kleines Männchen, mit schwarzen Augen erzählte mir, er habe auf seinen Reisen durch Deutschland den Thee, besonders in Erfurt, so schlecht gefunden, daß er schnurstracks zum Magistrat der Stadt gegangen sey, Wirthe und Thee zu verklagen. Man entgegnete ihm freilich, es sei noch kein Gesetz da für solche Schmach, und er müße sich beruhigen. Vergebens! ausser sich, nicht gerichtlich einschreiten zu können, läuft er zurück in den Gasthof, sucht sich des Theevorraths zu bemächtigen, und bestreut damit Hausflur und Stiegen, Küche und Keller. Die Hausbewohner gerathen in Alarm, nur der Wirth faßt sich und verlangt die Bezahlung einer übermäßigen Zeche. Unterdessen hat sich das Hotel mit Zuschauern angefüllt aus Neugierde, den Thee-Reformator zu sehen, der noch aus dem Wagen heraus als Adieu der Menge zuruft: p.50 “deutsche Räuber ihr!” “Du Schneider aus England, du!” tönte es ihm aus vielen Kehlen nach. Man muß aber diese ästhetische Theefigur selbst sehen, und dieß in gebrochenem Deutsch vortragen hören. Ja, je mehr ich über England nachdenke, je mehr finde ich in allen Stücken, daß es das Land der Extreme ist. Der Himmel hat z. B. das Extreme der Traurigkeit und so fort. Man ist entweder überreich oder erbärmlich arm, regelmäßig schön, oder ein Ausbund von Häßlichkeit, unbegreiflich vernünftig oder herzlich albern, kurz ich vermisse hier den Mittelweg meines sinnigen, nüchternen und doch poetischen Deutschlands. Ein Jeder hat so seinen spleen à part. Am meisten leiden sie an hohen Gedanken von sich selbst. Neulich erzählte mir ein Gentleman: er spiele meisterhaft Klavier, ein Zweiter: er sey geistreich. — Was die Lebensweise der noblen Engländer betrifft, so vergleich' ich sie stets mit der türkischen. Erstens ihr Bedürfniß nach starken Getränken, was selbst die Frauen theilen, die Malaga wie Wasser trinken; dann ihre gewöhnliche Geistes- und Körper-Trägheit, ihr Gleichmuth, ihre Gefühllosigkeit, ihr uncultivirter Sinn für die Musik, mancher ihrer Gebräuche, wie z. B. daß nach jedem Diner, und selbst dann, wenn Frau und Mann allein speisen, die Frau nach dem Dessert sogleich davon schleichen muß, um den Gemahl in seiner weitern Flaschen-Philosophie nicht zu stören. Ist es nicht sogar begreiflich, daß der Engländer durch steten innigen Verkehr mit dem Orient etwas Orientale werde, nämlich im Wohlleben?
p.51Da ich so wenig Zeit für mich habe, so mußte ich, diesen Brief fortzusetzen, bis heute warten. Seitdem machte ich einen Ausflug nach I., der Besitzung des Lords S ..., und auch das große Dejeuner hatte Statt gefunden. Wir fuhren in sechs Wagen, Damen und Gentlemans zierlich geschmückt, einen Weg von drei Stunden. Der Park, durch den wir zuerst kamen ist nicht großartig, aber gleichwohl reich an schönen Parthieen. Das House im gothischen Styl, gleicht einem Kloster und ist dicht mit Epheu bewachsen; im Innern allerliebst, hier ein großer Salon, dort eine schöne Bibliothek. Die erste Quadrille tanzte ich, das half kein Widerstreben, mit dem Bruder des Hausherrn und dann mit letzterem mehrere Male. Sein Pfarrer war besonders freundlich gegen mich, wahrscheinlich, da ich mich heute, wie sonst, seines Deutsch erbarmte. Aber demohngeachtet hatte ich oft Zeit, mich ernsteren Betrachtungen zu überlassen. Die Nachricht, daß die Herrschaft des Schlosses Dungannon durch diese Gegend komme, hatte die meisten unterirdischen Hütten-Bewohner hervorgelockt. Ach! welche Jammergestalten! Selbst jene jugendliche Gestalt ist zusammengedrückt. Da wundere ich mich nicht, so viele zerstörte Schlösser zu sehen. Aber was hilft es. Die Reichen prassen fort und ein Volk muß für sie darben. Das Herz möchte einem vor Wehmuth brechen. Ich verließ den Saal, um den Park zu durchwandeln. Auf einer Wiese lagen fünfzig zerlumpte Arbeiter (Vasallen), denen eben das Abendbrod zugetheilt war. Diesmal bekamen sie Wein und Bier, und schrieen wilde Vivats in ihrer Art und Sprache. p.52 Doch soll die Familie, mit der ich zusammen lebe, eine der wohlthätigsten des Landes seyn, und gewiß! sie ist es. Es mag das Elend des Volkes besonders dadurch vermehrt werden, daß die irländischen Lords in der Regel nur von Zeit zu Zeit pro forma sich in der Heimath aufhalten, ihre Revenuen in London oder Paris verzehren, und daher ihre Besitzungen mit Untergebenen, willkührlichen Pächtern 10 überlassen bleiben.
Nun staune, lieber Vater! seit Kurzem habe ich auch das Lenken des Wagens gelernt. In einem niedlichen Cabriolet, Emily an meiner Seite, durchjagen wir den Park, bergauf, bergab, das ist eine Freude! Auch heute habe ich wieder das Verbot: nicht außerhalb des Parkes, in das Bereich der armen Hütten zu gerathen, überschritten. Vor einer dieser elenden Behausungen waren eben einige Frauen gelagert, die schmutzige Kinder auf dem Schooße wiegten. Ich trete ein, und bin in einem Winkel, der zugleich Küche, Schlaf- und Wohnstube ist. Ein paar Schafe, Hunde und Katzen vermehrten die Gesellschaft. Freundlich grüßte ich eine Frau, die so heftig darüber erschrack, daß sie eiligst und bleich die Hütte verließ; ein Mädchen verbarg sich hinter einem Strohbündel in der Ecke, und meine Bemühungen, sie mir zu befreunden, waren vergebens. Als ich wieder zurückging, suchte ich mein stilles Lieblingsplätzchen auf. Es ist eine schwarze, kupferfarbige Eiche, die Nacht des Pflanzenreiches. Unter ihrem Schatten fühlt man sich so klein und doch erhoben zu dem Schöpfer, der im Grashalme sowohl, wie in der höchsten p.53 Eiche die Offenbarungen seiner Weisheit und Gnade niedergelegt hat.
5. XI
Dungannon, am 18. Juny.
Das Schloß füllt sich mit Gästen, und zwanzig Zimmer sind bereits von Fremden aus der Nachbarschaft bewohnt. Man besucht sich in England oder Irland nicht etwa wie bei uns, à deux, nein! ganze Familien rücken zur Einquartirung ein. Herr und Madame, Kinder nebst Amme und Bonne, Dienerschaft und Pferde. Da laß ich es oft um mich her sumsen und mache mir's auch bequem. Ein grundgelehrter Sir würdigte auch heute mich ungelehrtes Ding nicht nur eines Blickes, sondern einer stundenlangen Unterhaltung. Unser origineller Landjunker, spielte oben, Kemble nachahmend, Solo ganze Scenen aus Hamlet. Ein Stuhl stellte eine Person vor, die er anredete; richtig wechselte er seine Stimme, nach den verschiedenen Charakteren, so daß ich ihn bewundern mußte. Doch ward es mir bald langweilig. Ich setzte mich à l'anglaise gemächlich in einen Fauteuil, und so geschah es, daß der erwähnte Gelehrte, ein blaßes, hageres und schwarzes Männchen, von dem Berg seiner Wissenschaften zu mir in's Thal der Unwissenheit hernieder kam. Er selbst sagte mir neulich (selon l'usage du pays!) mit einer Art von Selbstgefühl, daß er alle Sprachen kenne. So? fragte ich, mehr über dieses Sicherheitsgefühl, als über sein p.54 Riesengenie erstaunt. Ich bat um einige historische Notizen über Irland. Erzählen Sie mir, ich bitte, von der Abstammung dieses Volkes, von Naturscenen, u. dergl. Gerne! Gerne! erwiderte er mit einem Lächeln, das allen gelehrten Fältchen den Tod drohte. Er rückte näher; eine Vorlesung also, ein Capitel aus — Wie Sie wollen, antwortete ich. Sie bereichern so meine Briefe nach Deutschland, denn was Sie mir sagen, soll zu Protokoll genommen, nicht eben in die Schatzkammer einer deutschen Academie, aber doch in eine Gelehrten-Stube einlaufen. Sind Sie Schriftstellerin? fragte er hastig — Ach nein, nur eine Plaudertasche! Dieses nie gehörte Wort eröffnete ihm nun ein Feld, so groß wie die Lüneburger Haide, ein Feld für tiefe Forschungen. Ob es ein ächtes Wurzel-Wort sey, ein aus fremden Sprachen nach Deutschland emigrirtes? — Ich bitte mein Herr, erwiederte ich ungeduldig, woher kommt es wohl, daß die Irländer meistens südliche Gesichtsbildung haben, dunkle Haare, schwarze Augen? Ja, eben wollte ich beginnen, Madame! man glaubt nämlich, daß die Irländer von spanischer Abkunft seyen. Die Phönizier vermischten sich, wie Sie vielleicht wissen, (hier nahm ich eine finstere Miene an,) mit der Urrace der Celten. Frühe lebten sie, in den Gegenden der spanischen Küste, im Verkehr mit den Irländern. Auch kam eine Colonie Spanier herüber in ihr Land, und ihre ältesten Religionsgebräuche deuten darauf hin, daß Keltische Stämme Irland bevölkerten. Auf ihren Hügeln und Ebenen liegen noch die zerstreuten Überreste ihres Götzendienstes. Hier ein Zirkel aufgerichteter Steine, der einen p.55 Altar oder Gerichtsstuhl vorgestellt, (ungehauene Säulen) bei den Phöniziern das Symbol der Sonne, dort jene martervollen Götzendienste, wo Kinder als Brandopfer fallen mußten. In Irland nannte man diese blutige Stätte Magh-Sleacth 11 oder der Schlachtort. Magh-Sleacth, so hieß, nach einem irischen Götzen: Crom Cruach, ein Stein, (mit Gold eingefaßt) der von zwölf rohen Steinen umgeben war. Jedes Volk, das Irland erobert hatte, also jede sich hier festsetzende Colonie betete diesen Crom Cruach an, bis zum Erscheinen des Apostels St. Patrick. Es wurden alsdann die Erstgebornen von Menschen und Thieren den Götzen hingeopfert. Tighernmas Mac Follaigh, König von Irland, bestätigte diese Opfer durch Befehle. Es mußten Männer und Frauen so lange vor dem todten Steine, zur Erde gebückt, liegen, bis aus Nasen, Stirnen, Ohren und Ellenbogen das Blut in Strömen drang. Viele blieben todt liegen, und daher der Name des Orts Magh-Sleacth, ein Schlachtort. 12 Durch den Verkehr der Phönizier mit Persien kam von dort auch nach Irland die Anbetung des Feuers. 13 Ihre Priester nannten sie, wie die Perser, Druiden und Magier; letztere warnten den König, zur Zeit St. Patrick's, nicht wenig vor den Folgen des neuen Glaubens. Bei den Phöniziern war die Sonne der Hauptgegenstand ihrer Verehrung, so auch bei den Irländern, unter dem Namen Baal oder Bel. — St. Patrick sagte daher in Bezug auf diesen Götzendienst in seinen Bekenntnißen: "Die Sonne, welche wir sehen, geht täglich nach dem Befehl Gottes uns zum Dienst und Nutzen auf, doch regiert sie p.56 nicht unsere Angelegenheiten und auch ihr Glanz dauert nicht ewig; die sie nun anbeten, werden billig der Strafe anheimfallen. Wir aber glauben und beten an die ewige, wahre Sonne, Christus den Herrn." In der Nähe von Wexford ist eine Stelle, Grenor 14 genannt, oder Ort des Sonnenfeuers, wo St. Patrick einen heidnischen Altar gestürzt und eine Kirche erbaut haben soll. In der Mitte des V. Jahrhunderts nennt Patrick nur die höheren Classen "Schotten", ein Beweis, daß Irland von diesem Volke (das von den Scythen abstammt) noch nicht ganz besetzt war. Hier unterbrach ich den unermüdlichen Gelehrten, um Luft zu schöpfen, durch folgende Betrachtung: Wenn ich den Irländer neben dem Engländer sprechen höre, so kommt es mir vor, als verhielte sich seine Aussprache zu der des Irländers, wie das Schwäbische zum Norddeutschen. Ist das richtig? In einiger Beziehung wohl, sagte er lächelnd, doch mit etwas mattem Tone. Er mochte nach Erfrischung lechzen, denn er ließ den soeben erschienenen Diener, mit rauchendem Thee, nicht lange harren.
In der Gallerie schlägt es neun Uhr. Da öffnet sich plötzlich hier und dort eine Thüre, und um uns her verstummt das laute Gelächter. Durch den Saal schreitet langsam Mylord, und ihm folgt der maître d'Hôtel bepackt mit einem Pult und großen Buche. “It is the time of prayer.” (Es ist die Zeit des Gebets.) Jeden Sonntag Abends, um diese Stunde, pflegt nämlich in Irland der Lord des Hauses eine kurze Predigt oder einen Psalm vorzulesen. Ich folge den Damen in den Speisesaal, den p.57 ich nun in eine Kapelle umgewandelt sehe. In der Mitte, vor einem Tische, steht Mylord — rechts sind reihenweise Stühle, und vor diesen knieen Ladys und Gentlemans. Zur Linken ist das Personal der Dienerschaft, Hundert an der Zahl, symmetrisch ausgestellt. Das Ganze hatte etwas Feierliches, nur störte mich das Flüstern meiner Nachbarin mit einem Dandy, der, auf die linke Seite deutend, sie fragt: Don't you smell the stable? (Riechen Sie nicht den Stall?) Wie dem auch sey, die Sonntagsfeier der Engländer, wenn auch bei Vielen nur äußere Form, hat wenigstens den Ausdruck von Gottesfurcht, und deshalb ist sie mir ehrwürdig; ich möchte sie eine Brücke nennen, hinüber zur wahren, kindlichen Furcht vor Gott. — Nie vergessen werde ich jenen Sonntag, als ein irländisches Mädchen von acht Jahren, ihr Brüderchen bei der Hand nahm, es aus der lärmenden Kinderstube entführte, mit den Worten: Komm! heut' ist's Sonntag, und da spielen wir nicht. Ich war ihr in den Garten gefolgt wo ich lange mit dem lieben Kinde plauderte; endlich fragte ich sie. Sag' mir doch, wer ist der Heiland? wo ist Er? Nach einer Weile, sich besinnend, erwiederte sie freundlich: “Der ist so groß, daß ihn der Himmel nicht fassen kann, und so klein, daß Er Platz in meinem Herzen hat.”
Vergangenen Sonntag fuhren Lady und ich in die Kirche von Dungannon. Auf dem Chor war eine Art von Tribüne, in die wir eintraten. Die Stühle waren stattlich mit rothem Sammt belegt. Schon vorher hatte ich in mein Common Prayerbook alle möglichen Zeichen gelegt, um der Andacht folgen zu können. Jeder Sonntag p.58 hat hier seine bestimmten Bußpsalmen und Evangelien. Man kniet, während sie vorgelesen werden; so auch während der Litaney, wo die Gemeinde, wie in der römischen Kirche, auch mit einem Lord have mercy on us (Herr, erbarme dich unser!) antwortet. Hinter einem grünen Vorhang, uns zur Rechten, standen zwölf weißgekleidete Chorknaben, die das Kyrieleison rührend absangen. Erst nachdem das Wort Gottes reichlich vorgelesen war, begann die eigentliche Predigt, welche den kürzern Theil des Gottesdienstes ausmachte. Es freute mich, in der englischen Kirche das zu finden, was ich immer unserm protestantischen Ritus gewünscht, ich meine: als äußeres Zeichen von Gottesfurcht, das Niederknieen. Wenigstens darf hier in England und Irland ein andächtiges Gemüth, ungezwungen dem innern Drang des Herzens folgen. — Daß auch die Engländer auf ihren Reisen stets streng Sonntag halten, deß war ich oft Zeuge; sie versammeln sich dann, um dieselbe Stunde, wie in der Heimath, um die Bibel und das Common Prayerbook. Alles wird so genau wie in der Kirche beobachtet. Der Engländer ist also in gewisser Beziehung in geistiger Verbindung mit allen seinen Brüdern, in welche Länder sie auch immer zerstreut seyn mögen. — Lebe wohl, lieber Vater! Über das Meer hin sende ich die innigsten Grüße.
p.596. XII
Dungannon, am 25. Juny.
Der Freigebigkeit meines Gelehrten verdanke ich mehrere Züge aus Patrick's Leben, die ich nun, geordnet, Dir mittheile. Für Heute also nichts als:
St Patrick. 15
In einer Gegend der nord-westlichen Küste Galliens, in dem heutigen Boulogne, lebte im Jahre 387 eine geachtete Familie, Patrick genannt, und römischen Ursprungs. Der Vater versah das Amt eines Senators und später das eines Diakonen. Sie hatten einen Sohn, der einst als Knabe, an der armorikanischen Küste verweilend, dort in Gefangenschaft gerieth, und nach Irland gebracht ward. Hier kaufte ihn als Sklaven ein Mann, Namens Milcho, und Patrick mußte ihm die Schafe hüten. Wenn er so einsam durch die Gegenden Dalaradiens (die heutige Grafschaft Antrim) über die Berge wanderte, entstiegen oft seiner Brust tiefe Seufzer und heiße Gebete zu Gott, der in's Verborgene sieht, der immer tiefer ihn in die Selbsterkenntniß einführte, und seinen Glauben an den Erlöser und seine Liebe zur Wahrheit befestigte. Sechs Jahre hatte er schon als Sklave gedient, als plötzlich in ihm, heftiger als je, die Sehnsucht nach Freiheit erwachte. Eine Stimme im Traume verkündigte ihm, daß er bald sein Vaterland sehen werden, ja ein Schiff zur Aufnahme sey schon bereit. So floh er denn im siebenten Jahre seiner Gefangenschaft zur südwestlichen p.60 Küste von Irland, wo auch wirklich ein Kaufmannsschiff, nach einigem Widerstand, ihn an Bord nahm. Es herrschte nämlich, wie man sagt, in Irland ein Gesetz, nach welchem der Sclave im siebenten Jahre Freiheit erhielt, und so habe, wie etliche meinen, Patrick die Freiheit erlangt. Bald landete er an der gallischen Küste und begrüßte Verwandte und Freunde. Nur einen Wunsch kennt er jetzt, den, die verlornen Jahre des Knabenalters durch eifriges Studium zu ersetzen. Das berühmte Kloster St. Martin, unweit Tours, schien dazu ihm geeignet, und nach vierjährigem Aufenthalt empfing er die Weihe. Irland blieb jedoch ihm tief eingeprägt, und wachend und träumend beschäftigte sich damit seine Seele. Einst erschien ihm im Traume ein Bote aus Irland, er trug unzählige Briefe und einer hatte zur Aufschrift: "Die Stimme der Irländer." Da war es ihm, als höre er menschliche Stimmen vom westlichen Meere, aus dem Walde Foclut, 16 die riefen: Wir bitten dich, heiliger Jüngling, komme und wandle wie früher unter uns!" So tief war mein Herz bewegt, erzählt St. Patrick, daß ich nicht weiter lesen konnte — und erwachte. — Die Mittheilungen, die er selbst auf einfältige Weise giebt, haben überhaupt nichts von dem Wunderbaren, womit die Legenden über sein Leben gewöhnlich angefüllt sind. Aus jenem Traume, zum Theil natürliche Wirkung einer warmen und frommen Einbildungskraft, erkennt man nur, wie theuer ihm Irland gewesen, und daß er sich bereits mit der Ausführung eines heiligen Werkes beschäftigte. — Er stand im dreißigsten Jahre, als er sich der geistigen p.61 Leitung des sehr erfahrenen St. German von Auxerre übergab, und im Jahr 429 folgte er ihm und Lupus nach England, um dort das Land von den Irrthümern der Pelagianer zu reinigen. Neun Jahre später sehen wir ihn in einem Kloster zu Lerins, auf einsamer Insel des Tuscaner Sees. Die stille Zurückgezogenheit, der Umgang mit den dortigen Brüdern trugen viel dazu bei, ihn immer tüchtiger für seinen künftigen Beruf zu machen. Um diese Zeit beschloß Papst Cölestinus, auch nach Irland Missionare zu senden, und seine Wahl fiel auf Palladius. Dieser, ein Diakon der römischen Kirche, und später Irlands erster Bischof, gewann zwar einige Seelen für das Christenthum, aber bald zwangen ihn seine Feinde zur Flucht, und von einem Sturm an Englands nördliche Küste getrieben, starb er zu Fordun. So viel ist gewiß, daß Gott nicht Palladius, sondern St. Patrick als Werkzeug zur Bekehrung Irlands ausersehen hatte. St. Patrick, von St. Germain nach Rom gesandt, hatte eben vom Papst die Erlaubniß, als Missionar nach Irland abzugehen, erhalten, als Palladius schon angelandet war. Was war natürlicher, als daß man nach seinem Tode Patrick, der eben durch Frankreich reiste, freudig entgegen eilte, um ihn zum Nachfolger zu ernennen. In Ebora empfing er die Bischofs-Weihe, und nach kurzem Aufenthalte in England landete er bald in der Nähe von Dublin. 17 In einigen Orten von Leinster fand er Widerstand; dieser Umstand und der Wunsch, seinen alten Milcho zu bekehren, die Sehnsucht jene Gegend, wo er seine Kindheit verlebte, wieder zu sehen, trieben ihn nach Strangfort (heutige p.62 Barony von Lecale). Einst begegnete ihm ein Schäfer, der, den Missionar und seine Begleiter kaum erblickend, davoneilt, seinem Herrn anzusagen, daß Seeräuber die Gegend durchstreiften. Bald erscheint der Lord selbst, es ist Milcho, und mit Sturm wirft er sich aus die vermeintlichen Räuber. Als aber sein Blick auf St. Patrick fällt, fühlt er sich so sehr von dem frommen Ausdruck seiner Züge, von seiner Milde und Ruhe überrascht, daß er die erhobene Waffe sinken läßt, und Alle zu sich in seine Wohnung einladet. Der Liebe St. Patrick's konnte auch das rauhe Herz Milcho's nicht länger widerstehen, und so verließen er und seine heidnischen Hausgenossen ihre Götzen. In einer Scheuer, die dem Lord gehörte, hielt nun der Heilige seine Gottesdienste, und daher nannte man diesen unansehnlichen Tempel Sabbul Padruic oder Patrick's barn (Scheuer). Vor allen andern war dieser Ort ihm theuer, so wie der Berg, auf welchem er oft als Sclave früher gebetet hatte. Eines Tages, als er die lieben Stellen und auch Milcho wieder besuchte, fand er zu seinem Schmerz diesen zum Heidenthum zurückgekehrt, und sich weigernd ihn zu sprechen. Jedoch tröstete ihn bald der Glaube eines jungen Mannes, dem er seiner Liebenswürdigkeit wegen den Namen Benignus gab, und der von seiner Bekehrung an sein steter Begleiter, so wie nach seinem Tode zum Nachfolger und Bischof von Armagh ernannt wurde. In Slane schlugen nun der Heilige und Benignus ihre Zelte auf. Es war vor dem Osterfeste, als sie, wie es damals in der Kirche gebräuchlich war, in der Dämmerung das Feuer anzündeten. p.63 An demselben Abend hatten sich auch Leogaire, der König, mit seinen Prinzen zum heidnischen Feste der Bealtinne versammelt. Ihr Gesetz verbot jegliches Feuer, bis die große Säule im Palast zu Tara erleuchtet wäre. Aber zu spät! Schon brannte Patricks Osterfeuer und zum Erstaunen des königlichen Hofes ward es von den Höhen Taras gesehen. Nun fragte Leogaire ängstlich, wer das Gesetz zu übertreten gewagt habe? Und die Magier und Druiden, fast in prophetischem Sinne, antworteten ihm: "Dieses Feuer wird, wenn es nicht diese Nacht verlöscht, ewig brennen, es wird sich über alle Feuer unserer ältesten Götterdienste erheben, und der es angezündet, kann ein Zerstörer unseres Königreichs werden." Sogleich sandte man nach St. Patrick. Die Prinzen lagerten sich in einem Cirkel auf das Gras, und einer, Herc, Degos Sohn, erschüttert durch die erhabene Erscheinung des frommen Mannes, sprang auf, ihn zu grüßen; einfach beantwortete er ihre Fragen, und unterrichtete sie weiter über das Wesen seiner Mission. Alle hörten ihm so gerne zu, daß man schon am folgenden Tage bat, er möge im Pallast predigen. Hier, vor dem versammelten Hofe, legte er das Zeugniß seines Glaubens ab, und überwand im Streit die Magier durch das Wort der Wahrheit. An diesem Tage bekehrte sich der berühmte Sänger Dubtach, der nunmehr nur über religiöse Gegenstände noch dichten wollte, und auch der König, durch die Macht der Predigt getroffen, rief aus: "besser ist's ich glaube, als ich sterbe!" und wirklich legte er dem Missionswerke kein Hindernis mehr in den Weg. Wenn gleich Patrick bekennen mußte, daß am meisten das p.64 Evangelium von den ärmern Klassen angenommen wurde, so bekehrten sich doch auch die höheren Stände, Könige und Fürsten. Besonders nahmen die Frauen willig sein Wort auf, und er selbst erzählt, er habe einst eine junge schottische Lady getauft, die überaus schön und geistreich gewesen. Aber immer noch war jener sinnige Traum: die Stimme der Irländer, ihm gegenwärtig, und so kam es, daß, durch diese Erinnerung angeregt, er nun die Wälder an der westlichen Meeres-Küste durchzog. Da zwangen ihn plötzlich verschiedene Umstände, immer westlicher zu gehen; auch war die Nacht eingebrochen und Patrick und seine Begleiter lagerten sich an einer Quelle. Kaum dämmerte der Morgen, als sie ihre Andacht begannen, und einen heiligen Lobgesang anstimmten. Unterdessen hatten sich aber die beiden Töchter des Königs, Ethenea und Fethlimia, der Quelle genaht, um sich zu baden. Wie erstaunten sie über diese Männer, die in weißen Gewändern und mit Büchern in den Händen dastanden, und natürlich war ihre Frage: Seyd ihr überirdische oder menschliche Wesen? Diese Gelegenheit ergriff nun Patrick, sie mit dem wahren Gott und unserm Herrn Jesus Christus bekannt zu machen, denn sie brannten vor Begierde zu wissen, wo Gott wohne? ob im Himmel oder auf Erden, auf Bergen oder in Thälern? Bald überzeugten sie sich von der Wahrheit seiner Worte, und empfingen die Taufe an dieser Quelle, weihten auch ihr Leben von diesem Tage an dem Dienst ihres Erlösers und der Kirche. Zu derselben Zeit stürzte der Missionar in der Grafschaft Leitrim den Götzen Crom Cruach und errichtete an dessen Stelle eine Kirche.
p.65Wohin er nur kam, taufte er viele nach dem Heil begierige Seelen. Da und dort vermehrten sich die Kirchen, die er mit Priestern, mit seinen Schülern versah, die das angefangene Werk fortzubauen übernahmen. Manchmal aber entzog er sich alles Umgangs und zumal in der Passionszeit verweilte er fastend und betend längere Zeit auf dem einsamen Berge, der Adler genannt. 18 Da erzählt die Sage, daß Schwärme von See- und Raubvögeln, erschreckt durch den Anblick eines menschlichen Wesens in solcher Einöde, sich alsobald in Dämonen verwandelt und den Heiligen in der Andacht zu stören versucht hätten. Von hier zog er nach Tir-amalgaidh, jetzt Tyrawley, in die Nähe jenes Waldes Foclut wohin ihn der Bote im Traum gerufen hatte. Er kam gerade in diese Gegend nach dem Tode des Königs, als sich seine sieben Söhne um den Thron heftig stritten. Kaum hörten sie aber St. Patricks Worte, als sie zum Frieden bewegt und gläubig wurden, und zwölf tausend Heiden sich zu gleicher Zeit mit ihnen taufen ließen. Doch fehlte es ihm auch nicht an Feinden, die seine Lehre verachteten, und einst schwebte sogar sein Leben in großer Gefahr. Ein Häuptling, Failge genannt, lauerte um ihn zu tödten, sobald er durch des Königs Grafschaft zöge. Odran aber, der Patricks Wagen leitete, und den Anschlag merkte, bat, die Sitze zu wechseln. So geschah, daß man Odran für den Heiligen hielt, und jener den Todesstoß empfing. Merkwürdig ist es, daß während der Heidenbekehrung auf dieser Insel dieses das einzige Blut war, was durch die Hand eines Irländers vergossen wurde. Später als Patrick p.66 Lecale besuchte, strebte der Hauptmann einer Räuberbande ihm nach dem Leben. Aber auch diesmal vereitelte Gott diese Versuche und der Räuber ward gläubig. Maccaldus, so hieß er, von Reue tief gebeugt, bat nun den heiligen Mann, ihm doch für seine Missethaten eine Bußübung aufzulegen. Maccaldus müsse, so lautete die Entscheidung, Irland sogleich verlassen und sich allein in einem schwachen Fahrzeuge den Wellen anvertrauen; nichts dürfe er mit sich nehmen als ein kurzes Gewand. Er möge da landen, wohin ihn der Wind triebe und dann Gott sein Leben weihen. Er gehorchte; der Wind lenkte das Schiffchen auf die Insel Man, wo ihn zwei fromme Bischöfe liebreich aufnahmen, und ihm mit vieler Weisheit, so wie es sein Seelenzustand erforderte, begegneten. Immer mehr nahm Maccaldus am Glauben zu, sein Wandel war unsträflich, und allgemein geliebt, ward er später zum Bischof der Insel ernannt. Auch jener Sänger Dubthach blieb fest in seinem Bekenntnisse, denn auf einer Reise durch Leinster besuchte der Apostel den Barden in seiner Wohnung Kinsellagh, wo sie sich gegenseitig durch geistliche Gespräche erbauten. Hier ward ihm auch die Freude zu Theil, daß Fiech 19 der Schüler Dubthachs seinen Glauben an Christus bekannte; nachdem er die Priester-Weihe empfangen, wirkte er später, als Bischof von Slatty, mit Liebe und heiligem Eifer.
Nachdem alle Provinzen Irlands mit dem Evangelium erfüllt waren, und die Kirchen sich vermehrten, fand er für nöthig einen bischöflichen Sitz zu errichten, und erwählte daher den Distrikt Macha. Hier, wo sonst die königliche p.67 Burg Emania stand, erhob sich später Armagh, Patricks Bischofssitz, und Salhul 20 , in der Baronie Lecale, welches die Gegend war, wo er zuerst das Evangelium gepredigt hatte. Im Jahr 465 zu Salhul fühlte er plötzlich das Herannahen des Todes, und nun wünschte er in Armagh zu sterben, wiewohl auf der Reise dahin er innerlich zur Rückkehr angetrieben ward, weil es beschloßen wäre, daß in Salhul er seine letzten Stunden verleben sollte. Acht Tage darauf entschlief er am 17. März, 78 Jahre alt. Kaum verbreitete sich die Nachricht seines Todes, als alle Bischöfe und Priester zum Begräbniß des theuern Mannes herbeieilten. Die Nacht hindurch sangen sie Psalmen bei der geliebten Leiche und wie man berichtet, brannten so viele Fackeln, daß die Nacht in Tag verwandelt schien. Nun wurde Benignus allgemein und nach dem Wunsche des Apostels, der von ihm sagte: er wird der Erbe meiner Kraft seyn, als Bischof von Armagh erwählt. Mehrere Männer, wie Fortunatus, Columbanus, auch Columb Kill genannt, waren Lichter der Kirche. Von Columban heißt es: "la lumière que St. Columban répandit par son savoir et sa doctrine dans tous les lieux où il se montra, l'a fait comparer par un écrivain du même siècle au soleil dans sa course de l'orient a l'occident. II continua après sa mort de briller dans plusieurs disciples qu'il avait formés aux lettres et à la piété." (Hist. litt. de la France.)
Irland war in ganz Europa zu jener Zeit unter dem Namen: "die heilige Insel, oder die Insel der Heiligen, p.68 Gläubigen" bekannt. Bald errichtete St. Brigid das erste Nonnenkloster und gab ihm den Namen: Killdara, cell of the oak, die Zelle der Eiche, wegen einer hohen Eiche, die diesen Ort bezeichnete. Noch im zwölften Jahrhundert ragte ihr Stamm als Reliquie ehrwürdiger Zeiten, denn niemand wagte ihn zu fällen.
Nach Usher war die von St. Patrick gegründete Kirche in Irland unabhängig von der Römischen, indem sie sich streng dem Evangelium unterwarf; es war ihr Glaubensbekenntniß das der lutherischen Kirche, bis zu der Zeit, als sich in dem Canon einer der ersten irländischen Synoden die Rede von Oberherrschaft des römisch-bischöflichen Sitzes geltend machte. Es hatte sich nämlich einst wegen der Feier des Osterfestes Streit erhoben, und da nach dem Canon alle Fragen dem Haupt aller Städte sollten vorgelegt werden, so sandte man unverzüglich eine Deputation nach Rom, und — erhielt dagegen römische Mißbräuche. Ihre Klöster bewahrten jedoch lange die strengste Zucht. Bald wurden Pilgerfahrten verordnet, an denen auch, wie die Annalen berichten, Fürsten Theil genommen. Immer weiter verzweigten sich Satzungen, Irrthümer und menschliche Meinungen.
Aber nun ist's auch Zeit, mich von St. Patrick zu trennen, wie sehr auch sein Leben mir lieb geworden. Du siehst, lieber Vater! daß ich manchen staubigen Folianten seinetwillen durchstöbere, und somit wirst Du mir auch diese so ungewöhnliche breite und lange Epistelform zu p.69 gute halten. Wenigstens habe ich etwas mit angehenden Schriftstellern gemein, nämlich, daß, gleich ihnen, in meinen Taschen sich ein stets bedrohliches Rauschen von Manuscripten vernehmen läßt. Geduld! Geduld!
7. XIII
Dungannon, am 30. Juni.
Gestern Abends saß ich wie gewöhnlich im Bibliothek-Zimmer, vor mir Metastasio 21 aufgeschlagen, ich selbst im Geiste in Italien. Da kommt Lord Northland, mir Deinen letzten Brief zu überreichen. Strahlend vor Freude, ungeduldig löse ich das Siegel und fliege Dir in die Arme. Ich stehe vor Deinem Schreibtisch, Du im Lehnsessel vor mir, umthürmt von Büchern und Schriften. Alles ist wie sonst — dort im Käfige hüpfen munter die Vögel; der Papagey, ganz Selbstgefühl, pfeift keck seine Roulade — die freundliche Mutter, Schwestern und Brüder reichen mir die Hände — eben will ich — If you please, flüstert ein zierlich in Atlas und Sammt gekleideter Bediente, ein großes Theebrett mit Tassen mir präsentirend; mechanisch strecke ich die Hand aus — "So? sind Sie hier, Liebe!" ruft lächelnd die schöne Lady S ..., man erwartet Sie am Flügel, Sie singen doch heute wieder: "Brüderlein fein?" 22 — O Sanct Kreißler! steh mir bei in diesem musikalischen Leiden! 23 — Singen Sie doch "Erz mein p.70 Erz!" (Herz, mein Herz!) spricht gebrochen deutsch ein altes Fräulein; "ä Schüsserl und ä Reinderl ist all mein Kuchelg'schirr" 24 wünscht eine vor zwölf Jahren in München gewesene Dame, dann wieder eine Andere: O Madame D ... "mein Schatz ist in Baiern" — Meine Bravour ist, wie du merkst, lieber Vater! nicht eben klassischer Natur, aber auch so ist's gut für irische Ohren. Daß aber manche englische Schöne, die deutsch nicht versteht, bei diesen Liedlein von Herzen und Schmerzen träumt, dafür kann ich nichts; ich überlasse sie schmachtend einer Chaise-longue. Wie behaglich! Comfort ist Englands Losungswort. Armes Deutschland! selbst Adelung hat keinen Comfort aufzuweisen. 25 Nun! Because it is comfortable to me — aus größerer Bequemlichkeit, habe ich ein Verzeichniß meiner schwäbischen und Tyroler-Lieder gemacht, die durch Tradition aus irgend einer obscuren Spinnstube zu mir gedrungen waren. Dieser lange Zettel, mit dem Anfang eines jeden Liedes, (einem Rezept nicht unähnlich,) liegt vor mir, das Flötenregister meiner deutschen Brustorgelstimme wird herausgezogen und nun singe und schwinge ich mich über das Meer nach Frankreich, über die düstern Eichenhaine hin in's geliebte Vaterland. Wird mir Lob, so ist es unverdient. Habe ich aber, wie es oft geschieht, einige Divertissements aus Guillaume Tell nebst Consorten aus Pflichtgefühl zu accompagniren, wenn Lady die Harfe spielt, so verdiente ich wohl, als musikalische Märtyrerin, nicht allein durch Schmerzen, sondern auch durch Lorbeere erdrückt zu werden. Doch zurück zu meinem Concert; langsam schlendere ich in Begleitung der schönen Lady S... p.71 durch die Gallerie, dans la salle de musique. Bereits sitzt malerisch am Flügel eine junge Irländerin, und singt eine himmelschreiende Arie. Halb unsichtbar lehne ich mich in eine Vertiefung neben dem Kamin, und citire die Geister Hogarth's und Hoffmanns. Also zur Arie; sie war aus der letzten Saison, von einem der ersten Londoner Mode-Komponisten, 6/8 Takt; ein paar Noten hüpfen hinauf, ein paar hinab, der Baß hinkt hintendrein, plötzlich eine sinnige Pause, das Licht erlischt — Nacht, finstere Nacht, dann ein wüthender Accord, und Alles ist in einen wimmernden Triller aufgelößt, wie in Thränen zerflossen. Ich laße gerne den Engländern ihr Recht widerfahren, und sage, daß sie große Talente in mechanischen Arbeiten und für den Stahlstich besitzen, aber trotz ihrer affectirten Liebe für die Musik, sind und bleiben sie doch ihr Stiefkind. Singt ein Gentleman oder Miß, so ist es meistens "solch ein Lied, das Stein erweichen, Menschen rasend machen kann!" 26 Eine Lady des ersten Ranges, aus königlichem Geschlecht abstammend, fragte mich einst ganz naiv: ob die Noten in Deutschland dieselben wie in England wären. Also nicht in den Salons, wohl aber in irischen, schottischen und englischen Hütten suche ich die Musik, ich meine die Volksmelodieen, deren Wiege die Natur ist, jene heiligen Stimmen voll Sehnsucht nach dem Ewigen, jene in Töne verkörperten Gedanken und Gefühle einer kindlichen Einfalt. Ich bemerkte, daß die öfters hüpfende, tänzelnde Volksmelodie des Irländers, reduzirt auf eine ernste, ruhige Begleitung, dennoch wehmüthigen Ausdruckes ist. Auch die schottischen, weniger die englischen, sind p.72 Offenbarungen von einem innern, unbewußten Seufzen nach endlicher Erlösung. — Die Harfe ist noch heutigen Tages das Lieblings-Instrument in Irland. Die irischen Harfenspieler waren auch in den ältesten Zeiten so berühmt durch ihre Kunst, daß bis zum 11ten Jahrhundert französische und italienische Barden ihre Schüler wurden. Man kam sogar auf den Gedanken, daß im Bau ihrer Harfen der Zauber liegen müsse. Jedoch möchte ich ihn wo anders suchen. Ein englischer Dichter sang auch einst, begeistert, die irische Musik preisend:
Drayton. (Poly-Olbion, 1613.)
- The Irish I admire
And still cleave to that Lyre
As our muse's mother
And think, till I expire,
Apollo's such another.
Noch füge ich eines der ältesten Gedichte von einem Irländer, Donatus, bei, der auf einer Pilgerreise nach Rom, in Italien Bischof von Fiesole ward. Das Original ist ist lateinisch, die Übersetzung, aus O'Halloran's History, 27 ist folgende. Er strömt über in Lob seines Vaterlandes:
- Far westward lies an isle of ancient fame,
By nature bless'd and Scotia is her name,
Enroll'd in books — exhaustless is her store
Of veiny silver and of golden ore.
Her fruitful soil for ever teems with wealth; p.73
With gems her waters and her air with health.
Her verdant fields with milk and honey flow,
Her woolly fleeces vie with virgin snow.
Her waving furrows float with bearded corn;
And arms and arts her envied sons adorn.
Randglosse:
- Weit westlich liegt eine Insel alten Ruhms,
Gesegnet durch Natur, und Schottland ist ihr Name!
In Büchern eingeschrieben, ihr Vorrath unerschöpflich
An Silber-Adern und an goldnen Erzen;
Ihr Boden fruchtbar ist und schwanger stets mit Reichthum,
Mit Perlen ihr Gewässer, und ihre Luft mit Heil.
Die grünen Fluren da von Milch und Honig fließen,
Die Wolle eifert selbst mit jungfräulichem Schnee.
Die Furchen wogen dort mit stachelichtem Korn. —
Und Künst' und Waffen schmücken ihre edlen Söhne!
- Donatus, ach! Dein Lobgesang
Klingt er mir doch wie eine Elegie!
Ich seh' umher, da wird mir's bang —
Das Auge zu! — süß ist die Poesie!
In einer Stunde geht der Kurier ab — Wie traurig, daß ich schließen muß! "Die Uhr schlägt keinem Glücklichen!" 28
p.748. XIV
Dungannon, am 20. July.
Welche erhabene Naturscenen bietet Irlands nördliche Küste dar! und was sind sie in der Beschreibung? höchstens ein kraftloser Gedankenabsud. Doch wie dem sei, so gut ich's eben vermag, will ich Dir, lieber Vater! vor Allem erzählen von
Dunkerrys-Höhle. 29
Westlich vom Hafen Coon Cave and Dyke birgt ein finsterer, steiler Felsen eine eben so tiefe als hohe Höhle, die nur zu Wasser zugänglich ist. Der Eingang bildet die Form eines spitzigen Bogens und ist von merkwürdiger Regelmäßigkeit. Unergründlich ist die innere Tiefe der Dunkerrys-Höhle, und die Eigenthümlichkeit ihres Baues verwehrt und macht gefährlich das Anlanden eines Kahns. Doch tritt auch hier die Natur versöhnend ein, denn längs des starren Felsens erhebt sich über der Wasserfläche ein grüner Kranz von Seepflanzen. Das Aufwogen des Meeres an dieser Küste ist aber besonders betäubend, da jede Welle der andern donnernd in die Höhle folgt. Oft in den Winternächten ist das Getöse so heftig, daß die Hüttenbewohner, wenn auch eine Weile davon entfernt, im Schlafe aufgeschreckt werden. Der Eingang ist sechs und zwanzig Fuß breit, und eingeschlossen zwischen zwei natürlichen Mauern von dunklem Basalt, flößt er Schauer und Bewunderung ein. Nachdem man
p.75
gelandet, verfolgt man einen Weg von einer Viertel-Meile durch öde Klippen, dem Riesendamme zu.
Giant's Causeway
Dort erhebt es sich wie weite Brückenpfeiler, schwarz und feierlich, und möchte man doch gerne dem Volk nachglauben, das von diesem Naturwunder erzählt: es hätten einst Riesen diese kolossale Chaussee nach Schottland hinüber zu bauen angefangen, und nur durch Irlands Helden, die sie vertrieben, wären sie, das große Werk fortzusetzen, verhindert worden. Zwischen Port-na-Baw und Port-na-gange erblickt man einige nackte, vorragende Felsen, Stookings genannt. Etwas westlich, nächst der Küste, erhebt sich noch der isolirte Felsen: Sea Gall Isle, und dort in der Mitte zwischen Port-na-gange und Port-Nosser ragt der Riesenweg hinaus in das Meer. Er besteht aus drei Pfeilern von Steindämmen, 400 Fuß hoch, die auf dem Grund einer aufgeschichteten Klippe hervorragen, und aus vieleckigen Säulen von dunkelfarbigem Basalt, die so fest vereinigt sind, daß nicht mehr als eine Messerklinge eingeschoben werden kann; an Genauigkeit übertreffen sie die kunstreichste Bildnerei. Jeder Pfeiler ist an sich selbst ein besonderes Meisterstück, und, trennbar von den angränzenden Säulen, besteht er wieder für sich aus unterschiedenen Theilen, wovon die Absätze so vollkommen sind, als kaum die höchste menschliche Anstrengung sie hätte zu bilden vermocht. Ich muß unwillkürlich in diesen Felsen die Größe des ewigen Baumeisters anstaunen. Dort, an der westlichen Seite, sprudelt zwischen den erhabenen Säulen p.76 hoch empor die Riesenquelle, ein so prächtiger Springbrunnen, wie kein Kaiser und König in seinem Pallast ihn aufzuweisen hat. Hier östlich, auf einer hochragenden Klippe, sehe ich einige zerstreute Pfeiler, die man freilich etwas prosaischer Weise: chimney tops (Schornstein-Spitzen) betitelt hat, wiewohl die Schiffsmannschaft der unüberwindlichen Armada von Spanien einst bei dem Anblicke dieser unschuldigen Säulen, und in der Meinung, eine Burg vor Augen zu haben, tapfer darauf losfeuerte. Wahrlich eine feine Lehre, daß man es mit seinen Luftschlössern (châteaux d'Espagne) eben auch nicht besser machen sollte. Von diesem Schornstein-Manoeuvre stammt auch der Name des nächst gelegenen Ortes, jener kleinen Bucht: Port-na-Spagna. —
Das Land an der Küste hin ist kalkreich und ärmlich genug. Das Volk, zum Theil sehr schön, lebt kümmerlich. In den jähen Klippen, die über den Riesensteg herein hängen, findet man auch eine merkwürdige Substanz, für welche bis jetzt, nach einigen Naturforschern, noch keine technische Bezeichnung konnte ausgemittelt werden; sie gleicht ausgeglühten Kohlen, und ist schwammartig und leicht.
Laugh-Morne!
Lache Morgen!
Auf der Straße nach Larne, erblicke ich erst eine öde Strecke, dann aber zur Rechten den erhabenen See von Laugh-Morne! Es nimmt diese Wasserfläche den p.77 Gipfel einer Anhöhe von 500 Fuß Höhe über der Meeresfläche ein. Die Ufer sind unfruchtbar. Der See selbst enthält Aale und Hechte, und im Winter ist er der Sammelplatz von zahllosen Seevögeln.
Den Namen Laugh-Morne erklärt das Volk mit einer Legende. Hier, vor Zeiten, lag, wie man sagt, eine große Stadt, wohin eines Abends ein alter Bettler, um Aufnahme bittend, gekommen war. Nachdem man ihn unbarmherzig abgewiesen, rief er ernst und feierlich aus: Laugh-Morne! lache Du Morgen! Er selbst eilte sogleich auf einen der hervorragenden Felsen. Nun sinkt der Boden mehr und mehr, aus den Häusern entschlüpfen Aale in Menge, und bald ist die Stadt hinab in den Abgrund, und drüber hin rauschen die Gewässer, wie noch heute zu sehen ist. Von nun an, sagt die Legende, hieß der See Laugh-Morne, lache Morgen!
9. XV
Dungannon, am 15. August.
Eben tönt über den See herüber, wie jeden Morgen so auch heute, meine liebe Hirtenflöte, mit dem sehnsüchtigen Liede: I give thee all, I can no more! Ich lausche, den Athem anhaltend, und schleiche näher an's Fenster. Alles ist wieder still.I give thee all — so tönt es in mir fort und fort. Auch ohne idyllisch gesinnt zu seyn, finde ich, daß in den Tönen einer solchen einfältigen, irischen Querpfeife sich wirklich eine rührende Wahrheit ausspricht. p.78 Weg mit den brillanten Pariser soirées musicales! —
Von dem Gedanken an irische Volksmusik, komme ich unwillkürlich auf das Gebiet der Kunst selber, von dieser auf ihre Lieblinge, und da preise ich die schaffende Gewalt und Güte Gottes, die einen armen Menschen schon in dieser Welt so reichlich ausstattet. Doch giebt es auch falsche Künstler und für beide einen Probierstein. Wer auch in Noth, ohne Hoffnung, und in uneigennütziger Liebe bei der Kunst aushält, ist wohl ein ächter Künstler. Er schafft, weil er muß; wie z. B. Gomis und viele Andere, die trotz aller Hindernisse, die während ihres Laufes ihnen den Weg zur ausübenden Kunst versperrten, doch endlich durchbrachen. Diese schöpferische Kraft in ihrer Rückwirkung erzeugt ein Gefühl der Befriedigung, dem nichts zu vergleichen ist. Der ächte Künstler giebt und nimmt. Das Lob, was ihm wird, gilt eigentlich dem Siege der Wahrheit. Auch ist er erhaben über das Alltagslob der sogenannten Selbstanbeter. Er buhlt nicht um die Gunst, als goldnes Kalb zu figuriren, das der tollen Menge zur sündlichen Verehrung dient. Der falsche Künstler hingegen hat sich ohne Weihe und innere Berufung in das Reich der Kunst einzuschwärzen 30 gesucht; er ist ein Miethling oder ein verkünstelter Handwerker. Aus seinem unlautern Grunde, gleich aus einer pfützigen Cisterne, schöpft er mit dem Wasser allerlei Ungeziefer. Er quäle sich noch so sehr mit Theorie — ein Irrlicht glänzt auch, aber der Sumpf ist sein Element. Auch sind seine Produktionen Zerr- und Trugbilder. Lüge ist ein Mord an der Wahrheit, p.79 und kann nur scheinbar siegen. So ein vermeintlicher Künstler kennt keinen andern Sporn, als Ehrgeitz und Lob. Kein Lob, und es giebt für ihn keine Kunst mehr — kein Champagner, und siehe! aus ist's mit der Begeisterung. Ich möchte mehr über das innere Leben des ächten Künstlers sagen, wenn ich nur meine Gedanken recht auszudrücken wüßte! Es ist überhaupt schwer, seine so mystische Natur zu begreifen und etwas zu beurtheilen, was ganz über das gewöhnliche Maaß hinausragt. Das bleibt aber wahr, was ihr äußeres Leben betrifft, so kommen die Künstler in der Wunderlichkeit alle überein. Ja, da müssen Musiker, Maler, und nebenbei Poeten und Gelehrte sich einmüthig die Hände reichen, denn hierin sind sie Geschwister-Kinder. Ich finde dieß auch natürlich. Was sind die Convenienzen des äußern Lebens auch anders als Schattenbilder für den, in dessen Innerem eine schaffende Kraft zum Bewußtsein gekommen, nun in tausend herrlichen Blüthen ausbricht! Sey es nun Fuge oder Pinselstrich, Vers oder Modell, — Geist, Wahrheit und Kraft bedingen sie, und so gehören sie nicht diesen Räumen, sondern der Ewigkeit an. — Nichts erschließt mir mehr das innere Leben des wahren Künstlers, als jene Scene, da der edle Seemaler Joseph Verney 31 , während eines Sturms an einen Mastbaum gebunden, sich gleichsam in der großen Werkstatt der Natur häuslich niederläßt, ganz Auge, ganz Ohr, während die Mannschaft mit dem Tode, das Schiff mit den Wellen ringt und als ein großer Sarg in den Abgrund zu sinken droht.
Mit diesem Briefe erhältst Du noch, geliebter Vater! p.80 einige meiner irischen Lieblingsmelodien. Ich vermuthe, daß der Text des einen oder des andern Liedes von Thomas Moore gedichtet ist; auf jeden Fall hat er seine Sache trefflich gemacht. Seine Gedichte an sich selbst sind schon melodisch. Die Schwestern mögen sie Dir vorsingen, doch a mezza voce bitte ich, und Dich so versetzen zu mir, an Erins meerumwogten Strand!
10. XVI
Dungannon, am 3. September.
Emily entwickelt sich täglich lieblicher; wie wißbegierig sie ist! Meistens erzähle ich ihr Züge aus der biblischen und Weltgeschichte und zur Erholung liest sie nun fließend, wie sie denn außerordentlich begabt ist, Sprachen leicht zu erlernen, die Erzählungen des Verfassers der Ostereyer. 32 Daß Heinrich von Eichenfels die Sonne für eine Lampe hält, macht ihr große Freude. — Manchmal besuche ich diese oder jene Kinderstube des Schlosses, und überzeuge mich, daß die englischen Bonnes 33 in der Kinderpflege ausgezeichnet sind. Mit welcher Ruhe wissen sie die Unarten zu rügen! wie sorgfältig werden die Kleinen gebadet, die Haare gebürstet! Nachdem die Größern die Abendwäsche im Rücken haben, seh' ich sie vor ihren Bettchen knieen und leise ihr Abendgebet verrichten. Nun kommt die Reihe an baby, ein Mädchen von zwei Jahren, die kleinen Hände werden ihm gefaltet, und ein kurzer Vers p.81 vorgesprochen, den es so gut als möglich nachzulallen versucht. Bald ist Alles süß entschlummert und wie Pfirsich-Blüthe glänzen die Wangen. Sehe ich gleich die Engel nicht, welche ihnen zugesellt sind, so glaub' ich doch gerne an diese himmlischen Wächter. — Hätte ich doch auch neulich mich in eine solche Kinderstube flüchten mögen! — Es war Ball im Schlosse, und vergeblich, wider den Strom zu schwimmen. Man hatte mehrere Damen und Offiziere aus der Nachbarschaft geladen und das Orchester war um zwei Pfeifer und zwei Kratz-Violinen verstärkt. Die Damen vertauschten ihr gewöhnliches Costüm: ein weißes Wollkleid und eine schwarze Perlenkette mit gothischem Kreuz, mit einer Toilette von frischern Farben. Auch ich that desgleichen, und legte für heute ungern meinen Rosenkranz bei Seite. Es sind dieß Perlen von schwarzem Eichenholz. In den Sümpfen des nördlichen Irlands findet man nämlich tausendjährige Eichen, die seit der Sündfluth hier begraben liegen. Das Holz ist schwarz und so hart wie Stein geworden. Da ist es nun ein Nahrungszweig der armen Fischer an der Küste, Halsgehänge, Rosenkränze daraus zu schneiden, und verkaufen sie theuer. — Ich hatte mir, wie gewöhnlich, vorgenommen, nicht zu tanzen und setzte mich in eine Ecke. Demohngeachtet erblickt mich Lady N... und stellt mir einen Krieger in rother Uniform vor. “Colonel W... wünscht mit Ihnen die nächste Quadrille zu tanzen.” Erst sagte ich nein! dann ja! und als er fort war, meinte Miß C ... : “Warum zieren Sie sich so? Sie bekommen einen artigen Tänzer, er war bei der Schlacht von Waterloo.” Waterloo immerhin! Ein alter p.82 Invalide der Garde Napoleons wäre mir interessanter. Plötzlich ertönt die gewöhnliche irische Volksmelodie zum Contredanse. Einige Ritter stürzen sich, wie geflügelte Mercure, in die Nebensalons, um ihre Tänzerinnen zu erbeuten. Auch mein Oberst erscheint und wir stellen uns an. Ach! wie langweilig und geisttödtend! Vielleicht kann er mir von der Schlacht bei Waterloo erzählen, so einen Extract dieses wichtigen Tages hätt' ich gerne — ich lenke das Gespräch dahin. Bald sind wir im Plotonfeuer, Batterien rechts und links — En avant! ich schwebe als Solotänzerin meinem vis à vis entgegen, wieder zurück. Wie kam es doch, Sir! fragte ich, am sechzehnten Juny zu Ligny war ja die Schlacht für Napoleon vollkommen entschieden und am siebzehnten die preußische Armee in vollem Rückzuge? If you please, Madam! (ist's gefällig!) Chaine anglaise! dröhnte eine Stimme. Der Oberst nahm das Wort. Grouchy, wie Madame vielleicht wissen, verfolgte die preußische Nachhut unter Thielemann, und verliert das Gros der preußischen Armee unter Blücher aus den Augen. Ja, nun erinnere ich mich, es gelesen zu haben. Am achtzehnten, nicht wahr? glaubt Grouchy die ganze preußische Armee vor sich zu haben, während diese auf dem Schlachtfelde von Waterloo erscheint und die Schlacht für Wellington entscheidet. — Eben wird der letzte Accord des Finale gefiedelt. Erschöpft von Schlachten und Siegen, nahm ich wieder mein altes Eckplätzchen ein. Mein kühner Krieger verschwindet, und hat, wie ich eben sehe, ein Gläschen Madeira erobert. Eben will ich mich in die Bibliothek flüchten, als jener junge Irländer, p.83 derselbe, der Kemble so gut nachahmt, mich zum nächsten Walzer engagirt. Da hilft keine Ausrede. Die Engländer und Irländer meinen nämlich, daß die Deutschen mit einem Walzer auf die Welt kommen, schon in der Wiege walzen. Vergebens! Um das Orchester noch mehr zu heben, muß nun ein nationeller Dudelsack drein quicken. Der Walzer löst sich in eine Galoppe auf. Mein Tänzer fliegt, wie ein englischer Renner, und nur mit Mühe behaupte ich meine deutsche Würde. So mußte ich mich bereits mehrmals für Deutschland fast todt tanzen. Wäre ich zehn Jahre früher in dieser Lage gewesen, da Jünglinge ihr Blut für's Vaterland ungescheut zu verspritzen wünschten, so hätte dieser Opfertanz ihrer Thatkraft sich vollkommen gleich stellen können, denn sich für Deutschland todt tanzen, oder todt schlagen ist im Grunde Eins. —
Gestern hatte ich zur Abwechslung einige Schrecken durchzumachen. Plötzlich ist Alarm. Es brennt! es brennt! Wo? im Schlosse. Ich eile auf den Corridor. Hier steht Lord Northland am Fenster, und sagt ruhig lächelnd: “es brennt — nur im Zimmer des untern Flügels.” Bald darauf stehe ich auf der einen Terasse des Blumengartens; da fliegt aus dem Fenster des ersten Stocks mit einemmal etwas Schwarzes zu meinen Füßen. Es war nur ein junger Sir, der sich im Nu aufrafft und wie ein Reh im Gebüsch verschwindet. Er hatte sich mit einigen Freunden auf eine neue Art Versteckens eingeübt. Nachmittags trieben p.84 sie auf dem See im Kahne ihr Spiel. In der Mitte, wo er am tiefsten, stürzten sie ihn in die Tiefe. So oft Sir sich anklammern wollte, stießen sie ihn jubelnd mit dem Ruder zurück. Erst nachdem es mit dem Ertrinken Ernst geworden, boten sie Hülfe. Es war ein Schauspiel in türkischem Geschmack. Wir fuhren eben vorüber, und da sah ich das Ding mit an — mir schauderte. Auf dem Weg beobachtete ich eine Frau, die eben in einen Park eintrat; sie war sehr reinlich gekleidet. Ein schwarzes Kleid, grauer Shawl, graues Hütchen — dies ihr Schmuck. Miß C... erzählte mir, daß diese schlichte Frau eine der reichsten Damen in der Gegend sey, aber als Quäkerin lege sie nie diese Kleidung ab. Auch im Innern ihres Hauses sey die höchste Reinlichkeit und Einfachheit. Man bezeichnete mir noch mehrere andere Wohnungen, als den Quäkern gehörig, und ich bewunderte wie Alles so blank und niedlich aussah. Bekanntlich spricht in ihren gottesdienstlichen Versammlungen nur derjenige, der sich für den Augenblick dazu vom Geiste berufen glaubt. Gewissenhaft üben sie die Pflicht der Mildthätigkeit aus. Daß diese zum Theil gottesfürchtigen Leute in Mitte eines an Geist und Körper verkümmerten Geschlechts, gleichsam als Lichtpunkte in der irischen Finsterniß, angesiedelt lebend erscheint mir als eine besondere Führung Gottes. — Indem der Wagen um einen Hügel lenkte, sah ich eine Anzahl Männer in brauner Kleidung, einige Frauen und Kinder, die eiligst die Landstraße dahinzogen. Die Männer trugen einen unbedeckten, frisch gezimmerten Sarg — keine Blume, kein Kreuz! Die Häupter waren düster zur Erde p.85 gesenkt, und stumm und in größter Eile bewegte sich der Trauerzug. Da drückte ich mich in die Ecke des Wagens und konnte der Thränen mich nicht enthalten. Irland erschien mir in der Gestalt einer armen Waise, die unerzogen sich selbst und ihrem Elende überlassen bleibt.
Das irländische Volk ist abergläubisch — aber wie. Es ist bekannt, daß einer Clavierspielerin von Amts wegen daran liegen muß, die Hände so dürr und weiß als möglich zu erhalten. Die Kammerfrau rieth mir, dänische Handschuhe Nachts anzuziehen. Der letzte Ball hatte bis zwei Uhr gedauert, schläfrig wie ich war, fand ich eben keine dänischen und zog schnell ein paar schwarze, die dalagen, an. Um fünf Uhr kommt gewöhnlich ein Dienstmädchen an mein Himmelbette, (das so groß ist, daß man darin könnte auf Entdeckungsreisen ausgehn,) mit einem Glas frisch gemolkener Milch, und der Morgengruß ist: “Good Morning Madam, how are you?” Mit halbgeschlossenen Augen zieh' ich etwas an dem chinesisch geblümten Vorhang und ergreife das Glas. Warum ist aber Betsy heute so flink? dachte ich, denn ich höre sie eiligst die Thüre erreichen. Am andern Morgen kommt Mary mit der Milch, und bald darauf nimmt auch sie seufzend die Flucht. Eben so geht es am dritten Morgen, und eine dritte überbringt mir zitternd das Glas. Am Abend seh' ich Lady Northland laut lachend auf mich zukommen. “Ei! Ei! schöne Dinge erzählt man sich von Ihnen, Madame, p.86 im Schlosse.” Wie das? “Nun ja! Mary, Betsy und Fanny sagen aus, daß Sie sich am Tage in ein hübsches Fräulein, aber bei Nacht in ein Ungeheuer verwandeln, mit eigenen Augen hätten sie es gesehen, Ihre schwarzen Hände mit glühenden Krallen.” “Ach! meine Handschuhe, meine Handschuhe,” rief ich aus, und bald war das furchtbare Räthsel gelöst. Seitdem gebe ich mir alle Mühe, die armen Mädchen zu versöhnen, vergebens! trete ich in ihr Zimmer, so erbleichen sie, erst lautes Gespräch, dann Todtenstille. — Sie ist eine Hexe, heißt es nun. Während der Spielstunde Emilys singe ich am Flügel oft meine Solfeggien, aus der Singschule von Gomis. Am rechten Gitter des Parks sammeln sich dann nicht selten Frauen, Männer und Kinder. Die Hexe orgelt und pfeift wieder, sagen sie. —
Weil ich nun glücklich im Zuge bin, der Romantik Randzeichnungen zu liefern, so darf die mystische Figur unserer Pförtnerin keineswegs fehlen. — Ohnlängst machte ich noch spät einen Gang über die Wiesen nächst dem Tunnel vorbei, wo das Pförtnerhäuschen steht. Es ist düster und doch heimlich. Die Thüre stand offen. Vor derselben lag ein schwarzer Spitzhund, der knurrend der silbergrauen Mismi entgegen sieht, die mit stattlich erhöhtem Rücken und vorsichtig näher schleicht — flugs die Kralle ihm in's Auge und den Nacken packt die Pfote — das knurrt und schnurrt! die Stimme aber aus dem Häuschen überschallt Beide. Die Pförtnerin, eine Frau von ohngefähr dreißig Jahren, schwingt den Besen, die schwarzen Haare hängen aufgelöst ihr über die Schultern hinab, und p.87 die dunklen Augen sprühen mich so recht geheimnißvoll an. Dabei ließ sie sich in ihrem Gesang nicht stören, so viel ich merkte war es ein altes Kriegslied.
Ende Oktober werden wir unsere Rückreise antreten, und es mahnen auch die herbstlich winterlichen Stürme ganz ernstlich, es den Vögeln nachzumachen. So hoffe ich denn, theurer Vater, Deinen nächsten Brief in Paris vorzufinden, eine Aussicht, die eben so magnetisch, als wohlthuend auf mich wirkt. Nur noch ein paar elegische Verse
An Irland
- O armes Volk! bekämpft sinkst Du dahin!
und bist vom Licht, o Erin! nun verlassen.
Sonst sah dich, heil'ge Insel, man erglüh'n
Für Lieb und Treu, sie innig zu umfaßen!
Und nun! am schweren Joch Dich müd' zu zieh'n,
Ist Deines Herzens stete Trauerklage;
Die Blume welkt, ein Reich muß auch verblüh'n,
Muß weinen so am eignen Sarkophage.
11. XVII
Paris, am 20. November 1832
Gott sey gelobt! Da bin ich wieder in Paris, und das Meer durfte mich nicht behalten, wie sehr es auch dazu Lust gehabt hätte. Wenn der Spiegel oder sonst ein Spleen der Einbildung mich nicht trügt, so hat die Seefahrt meine p.88 Wangen keineswegs geschmälert und es hat Herr Gomis, der originelle Spanier und Componist, Recht, wenn er erstaunt unter der Thüre stehen bleibt, und ausruft: O ciel! vous êtes double! Sonst ist alles wie sonst. Über dem Klavier hängt noch Dein Bild, und sieht mich freundlich grüßend an. Sey denn wieder herzlich gegrüßt liebster Vater! und Ihr Lieben, mir nahe, wenn auch noch so ferne.
Unsere Reise hierher, lieber Vater! dauerte zwanzig Tage. Die erste Nacht nach Dungannon blieben wir in Slane, einem häßlichen Städtchen, berühmt aber durch die Siege, welche hier der Prinz von Oranien über die Katholiken gewann. Jährlich feiern in ganz Irland die Orangisten, wenn ich nicht irre im Juni und Herbst, das Andenken ihrer Religionskriege, und zwar dadurch, daß man sich immer aufs Neue für Glauben und Freiheit todtschlägt. 34 In den ersten Tagen des Juni's hörte ich eines Abends in Dungannon heftigen Lärm, Schießen und wilde Musik. Da sagte man mir, es bedeute dies das Orangisten-Fest. Tausende strömen bewaffnet herbei. Die Katholiken tragen grüne Zweige, die Orangisten sind mit gelben Blumen geschmückt, und nun flucht einer dem Andern, und die lieben Protestanten treiben es nicht besser. Der ärmste Katholike muß dem protestantischen Prediger dafür, daß er in seine Kirche gehen darf, jeden Sonntag einen Schilling zahlen. So könnte ich viele Unbilligkeiten aufzählen, aber es macht mich nur traurig. Denke ich an Irland, so ist mir das Weinen näher. Jede Reisebeschreibung über dieses Land p.89 muß sich doch zuletzt in einen Seufzer und in eine Thräne auflösen.
Am Montag den 29. Oktober kamen wir nach Dublin. Wir wohnten in der schönsten Straße, Sackvillstreet, die längste und breiteste, die ich je gesehen. In der Mitte ragt eine Säule in die Luft, höher als die des Platzes Vendome in Paris. Nur zwei Tage sollten wir in Dublin bleiben. Der Nebel schien aber so undurchdringlich, daß an keine Einschiffung zu denken war. In derselben Nacht, wo unsere Überfahrt beschlossen war, verunglückten auch mehrere Segelschiffe und das uns zugedachte Dampfschiff ward vermißt. — Da die herrschende Reise-Methode der Engländer mich nicht befriedigen kann, die zwanzigmal nach London reisen, ohne je eine Westmünster-Abtey oder St. Paulskirche zu sehen, (wie es Exempel giebt,) nahm ich mir vor, diesmal, wo möglich, meiner deutschen Wißbegierde treu zu bleiben. In Dublin nahm ich einen Führer, mir die ältesten Kirchen zu zeigen, dem kam aber dieser Geschmack so fremd und neu vor, daß er mich verblüfft ansah, und versicherte, er wolle mich in eine very new and pretty church (sehr neue und hübsche Kirche), führen. Je mehr ich nach alten verlangte, je eifriger er mich für die neuen zu bekehren suchte, so daß ich nichts sah, und verdrießlich nach Hause kam. — Mittwoch Abends, um vier Uhr, fuhren wir an den Hafen. Das Schiff wimmelte von Fremden. Zwei und zwanzig Frauen waren schon in der Kajüte eingesargt: für uns öffnete man, als Auszeichnung, einen Schrank. Ich flüchtete mich auf das oberste Bette und tröstlich war mir ein p.90 kleines, rundes Fensterchen, was ich zuweilen öffnete, wenn ich dem Ersticken nahe war. Dann athmete ich den stinkenden Qualm von Steinkohlen, Pech und Thran, hörte das wunderliche Schreien der Matrosen. Ich war diesmal kränker, als das erstemal. Die See schlug hohe, hohe Wellen. Taktmäßig stieg und sank das Schiff, und nun das Sympathisiren mit der Bewegung der See muß mitgefühlt werden, dann weiß man's — Ein kalter Todesschweiß rann mir von der Stirne, und eine Gleichgültigkeit empfand ich, daß selbst Tod und Schiffbruch mir erfreulich gewesen wären. Um zwei Uhr des Morgens wurde der Sturm heftiger, so daß man das Ängstliche der Wellen fühlte und das Arbeiten des Schiffes, was jeden Augenblick krachte und stöhnte. In der großen Cajüte hörte ich Schreien und Wehklagen, und auf dem Verdecke ward es lebendiger. Die Matrosen verdoppelten ihre abgebrochenen Laute; — plötzlich hielt das Schiff — noch donnerten die Räder der Maschine fort, denn man untersuchte, ob man auf eine Sandbank gerathen sey, und wiederholte dies wenigstens sechsmal. Um fünf Uhr kam die Wärterin an jedes Bette, mit dem Gruße: We are near land! (Wir sind dem Land nahe!) Das Wort land! klang mir so zauberisch, daß ich mit einem Satze hinabsprang und taumelnd hinfiel, weil der Boden heftig unter mir schwankte. Ich warf meinen Mantel um, und kroch die schmale Treppe hinauf, um Luft zu athmen. Es war noch finstere Nacht. Der Regen schlug mir heftig in's Gesicht, und eben wollte ich wieder umkehren, als ich gefesselt stehen blieb. Durch den Nebel hindurch erkannte ich die dunkeln Maste vieler p.91 Schiffe, mit rothen Lampen beleuchtet, und die Beweglichkeit der schwarzen, phantastischen Gestalten erregte in mir allerlei Bilder und Träume. — Um acht Uhr rauschten wir ganz majestätisch in den Hafen ein, und gemächlich im Wagen sitzend, ließen wir uns hinauf, durch Maschinen, an's Land ziehen. Nachdem wir in Liverpool gefrühstückt, und in Liechfield übernachtet hatten, ging es wieder durch das schöne, reiche England, mitten durch die Ländereien und Parks der englischen Lords. “Der König von England ist doch der ärmste von allen Königen,” rief ich aus, “was hat er? London eine Steinmasse, aber seine smaragdnen Wiesen gehören den Pairs des Landes — eine Wiese für London!!”
Die Unregelmäßigkeit der englischen Häuser, ihre dunkelbraune Farbe, zur Hälfte mit einer Rosenhecke und Epheu tapezirt, finde ich allerliebst; jedes Häuschen ist eine malerische Celle, und gäbe schon ein hübsches Bild. Die Landtracht der Irländer sind Lumpen, die der Engländer: ein schwarzer Sammtrock, kurze, graue Beinkleider und Kamaschen, die Frauen der Pächter und Bürger tragen scharlachrothe Mäntel. Nirgends sieht man eigentliche Dörfer und Hütten. Man fährt über mit Obstbäumen durchschnittene Wiesen und zwischen Hügeln mit Laubholz bewachsen, und durch reinliche Städtchen. Recht abentheuerlich fand ich einen englischen Jagdzug. Die Männer, scharlachroth gekleidet, jagen wie toll auf prächtigen Pferden einher; ein Dutzend Jagdhunde werden nachgetrieben, und ein eleganter Wagen mit vier Pferden ist im Gefolge.
Freitag den 2. November blieben wir in Brickfield p.92 und kamen am nächsten Tage nach H…, dem Schlosse des Lord C… Das Gebäude ist im gothischen Styl und war lange Zeit der Sommeraufenthalt der Königin Elisabeth gewesen. Die Familie C… ist die liebenswürdigste, die ich kenne, auch ist sie enthusiastisch für Deutschland eingenommen, und von dem Vorurtheil befreit, welches die deutschen Frauen nur stricken und rauchen, und ihre Männer nur Bären erjagen und trinken läßt. Meine kleinen Lieder mußte ich oft wiederholen. Abends bei Tafel hatte ich als vis à vis einen persischen Gelehrten, der alle durch seine Laune erheiterte; er erzählte trefflich, und man mußte ihm nach, durch dick und dünn. Er sprach uns auch persisch vor, und ich fand, was den Klang betrifft, einige Verwandtschaft mit meiner Muttersprache. Dies bestätigte auch Mirza I… und mein deutsches Herz hüpfte vor Freuden.
Die drei Tage in H… flogen lieblich und nur allzurasch dahin. Am vierten folgten Abschied und Reise nach London. Am nächsten Morgen sah ich die Vorbereitungen zu Visiten, und entnahm, daß wieder nichts gesehen werden möchte. Ich bat also mir den Tag als mein Eigenthum aus. Dir, lieber Vater! die Merkwürdigkeiten Londons abzuleiern, die du doch so gut als auswendig kennst, fände ich ebenso überflüssig als ermüdend für Dich. Nur etwas von der Westmünsterabtey. — Nachdem ich die Adresse unserer Wohnung mit mir genommen, befand ich mich, ohne Führer, allein, und zwar aus eigensinniger Laune, auf dem Wege zur Abtey. Bald schickte man mich links, bald rechts, und ein undurchdringlicher, p.93 orangegelber Nebel machte, daß man nur zwei Schritte vor sich sehen konnte. Dennoch steuerte ich muthig fort. Ich kam durch die Kingstreet. Da sah ich, in Mitte hoher Gebäude, ein altes, vergittertes Häuschen, zu dessen beiden Seiten Wachen zu Pferde standen. Neugierig trete ich näher und frage einen Vorübergehenden: Whose house is this? “Wessen Haus ist dieß?” Ich träumte nämlich von nichts anderem als von einem Staatsgefängnis, und bemitleidete schon die armen Gefangenen von ganzem Herzen, wie ohngefähr jeder ehrliche Handwerksbursche den Tod des Kannitverstan. 35
“It is the King's Palais!” brummte ein vorübereilender finsterer Bürger oder Kaufmann, und die Wache lächelte. Ich erinnerte mich, daß, als ich das erstemal in London war, mir dasselbe wiederfuhr, nun sah ich diesmal den sogenannten King's Palais von einer anderen Seite, so daß diese Täuschung sehr natürlich war. Endlich, halb erschöpft vor Müdigkeit, stehe ich vor einem Riesenbau wie ein Käferchen, und starre hinauf. Denkt Euch drei Nürnberger Kirchen, aber zweimal so hoch als jene, an einander gereiht. Nachdem ich wieder zu mir selbst gekommen, trat ich ein. Ich glaubte, dieß sey die Abtey; es war die Margarethen-Kirche, zwischen ihr liegt die Pairskammer, ein uraltes Gebäude, und dicht an diesem meine liebe, ersehnte Westmünsterabtey. Ein zusammengekrümmtes, graues Männchen, das die Hallen der Margarethenkirchen reinigte, wies mich zurecht. 36 Nicht satt konnte ich mich sehen an dem herrlichen Bau der Abtey! Sechzehn durchbrochene Säulen oder Thürme umschließen p.94 im Kreis eine Riesenmasse, und ganz oben sind allerlei Fratzen, Pferde als Verzierungen angebracht. Die sanften und mächtigen Töne der Orgel zogen mich nun in das Innere. Es war eben Vesper. Zwölf weißgekleidete Chorknaben standen zu jeder Seite des Predigers und sangen ihre Psalmen. Ich war bewegt, und konnte nicht beten, nicht weinen, aber still in mich zurückkehrend sank ich in Andacht auf meine Kniee nieder. Ich blickte aufwärts. Hoch oben schwamm ein blauer Nebel und zertheilte sich in zarte Wölkchen; die spitzigen Schwingbogen stiegen ins Unermeßliche, und so glaubte ich in den Himmel selbst zu schauen. Aber nun verlängerten sich die Schatten um mich her, und spärlicher schimmerte das Licht durch die Fenster der Kirche; die hereinbrechende Dämmerung mahnte mich nach Hause. Noch durchwanderte ich die Hallen, deren einige umzäunt oder verbaut sind, ein für die Begeisterung lähmender Anblick! Von den vielen Grabmälern erinnere ich mich noch der von Maria, Königin von Schottland, und der Königin Elisabeth; prächtig sind ihre Bildnisse, in weißem Marmor ausgeführt. Ferner die Statuen Addisons und Händels, sowie von Milton und Shakespeare. Aus seinem Drama: der Sturm 37 , ist folgende Inschrift beigefügt
- The cloud-capt towers, the gorgeous palaces,
The solemn temples, the great globe itself,
Yea, all which it inherit, shall dissolve;
And, like this insubstantial pageant faded,
Leave not a rack behind.- Die wolkendrohenden Thürme, die prächtigsten
Palläste, die heiligsten Tempel, selbst der
große Erdball, ja Alles, was irdisch ist, wird
vergehen, und wie das grundlose Gebäude
einer Vision auch keine Spur zurücklassen.
Als ich vor der Margarethen-Kirche wieder stand, schwang das graue Männchen noch seinen Besen, und fragte freundlich: wie die Abtey mir gefallen? “It is so beautyfull,” sagte ich, “that even God may be pleased of it!” (Sie ist so schön, daß auch Gott daran Wohlgefallen haben möchte!) Dabei hob er die Mütze jubelnd in die Luft und wünschte mir, recht wohl zu leben. Der gelbe Nebel ward immer dichter, schon brannten die Lampen an den Straßenpfählen, und noch galt es einen dreiviertel Stunden langen Weg zurück zu legen. Ich lief und lief, denn die Angst, mich zu verirren, packte mich noch ein wenig. Ohne weiteres Abentheuer kam ich endlich glücklich nach Hause. Ein Engländer, dem ich von meiner unternehmenden Wanderung erzählt, wunderte sich gewaltig und meinte, er selbst wage nie in London ohne Karte auszugehen, da ein Verirrter schwerlich sich wiederfinden könne. —
Samstag fuhren wir, unter beständigem, heftigen Regen über Rochester nach Dover. Die Nacht war undurchdringlich; donnernd brach das Meer sich an der Küste, während der Sturmwind bald winselnd, bald laut heulend daher brauste. Mühsam schleppten die Pferde den Wagen. Wir waren vor dem Hause der Lady B… p.96 angekommen. Man schellte, pochte vergebens. Meer und Sturm tobten zu heftig, alles übertäubend; endlich zerbrach ein Windstoß das eine Fenster des Salons und nun erst wurde man unsrer gewahr. Mit Würde schwankte ich die Treppe hinauf, die Zähne klapperten mir vor Frost, und ein so heftiges Fieber brach über mich herein, daß ich sogleich das Bette aufsuchen mußte. Von London bis Dover ist aber auch eine gute Strecke. Mit vier englischen Pferden legten wir in sechzig Minuten zehn Meilen zurück.
In Dover verlebte ich noch drei glückliche Tage, denn das Leben der ehrwürdigen Großmama ist still und häuslich, so wie es wohl thut. Die Lage von Dover war mir wieder neu und lieb mit seinem Schloß und hohen Sandsteinfelsen. 38 Hier ist nicht das Geräusche der großen Welt und die Natur hat auch eine Sprache, die direct zum Herzen dringt. — Nach jenem großen Sturme war die Luft so warm, daß ich ganz leicht gekleidet, mit meiner Emily des Morgens an's Ufer gehen konnte. Die Überfahrt von Dover nach Calais war diesmal besonders begünstigt; der Himmel blau und wolkenlos, ein frisches Lüftchen und das Meer so hoch, daß das Schiff dahin flog wie ein abgeschossener Pfeil. Wir saßen auf dem Verdecke. Um die Seekrankheit zu verhindern, hörte ich, man müße nur fest einen Gegenstand fixieren, sich nicht rühren; mein unbeweglicher Blick galt Frankreichs Küste und dazwischen musterte ich die Schiffsgesellschaft. Ein schmales Männchen, mit einer dicken Pelzmütze, hatte zu seinem Gegenstand unsern Schooßhund, zu welchem er p.97 unbeweglich hinlächelte; sein Nachbar wühlte in seinen Taschen und zählte; ein Dritter, mit ausgespreizten Füßen, biß unbeweglich in einen Apfel; ein blasse, kranke Dame vertrieb sich die Zeit und Seekrankheit damit, daß sie ihren dicken Jungen zuweilen fühlbar tätschelte; ein Anderer sah durch ein Fernrohr und der Capitain trippelte auf dem Verdecke umher. Schon nach drei Stunden landeten wir in Calais. Die ersten französischen Töne waren die der Mauthbeamten, aber doch fand ich sie lieblich, und in meinem Herzen rief es: Willkommen, du liebes Frankreich! — Wir übernachteten in Calais, und nach dreitägiger Fahrt waren wir wieder in Paris. Sogleich lief ich in die Loge unseres Portiers, in der Hoffnung, Briefe zu finden. Ich hatte mich nicht getäuscht. Erst küßte ich, dann las ich Deinen lieben Brief. Tausend Dank, theurer Vater! und die innigsten Segenswünsche müßen unaufhörlich Dich aufsuchen.
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Title statement
Title (uniform): Briefe aus Irland
Author: Magdalena von Dobeneck née Feuerbach
Responsibility statement
Electronic edition compiled and proof corrections by: Beatrix Färber
Funded by: The School of History, University College, Cork
Edition statement
3. Third draft, enlarged.
Extent: 18295 words
Publication statement
Publisher: CELT: Corpus of Electronic Texts: a project of University College, Cork
Address: College Road, Cork, Ireland — http://www.ucc.ie/celt
Date: 2015
Date: 2017
Date: 2019
Distributor: CELT online at University College, Cork, Ireland.
CELT document ID: D830003-001
Availability: Available with prior consent of the CELT programme for purposes of academic research and teaching only. CELT is grateful to Professor Emeritus Eoin Bourke for making available a hardcopy of this rare book for scanning and to Professor Emeritus Ulrich Harsch for supplying page images for pp. 92–97 (added for the third draft).
Source description
Magdalena von Dobeneck: Life and Work
- Sechs Lieder für Singstimme mit Begleitung des Piano-Forte, etc., Nuremberg 1843.
Literature mentioned in the work
- Sylvester O'Halloran, An introduction to the study of the history and antiquities of Ireland: in which the assertions of Mr. Hume and other writers are occasionally considered, illustrated with copper-plates (Dublin 1772).
- Johann Timotheus Hermes, Sophiens Reise von Memel nach Sachsen (1769–1773). Band 1, Leipzig 1778.
- Jean Paul (=Johann Paul Friedrich Richter), Titan (Berlin 1800–1803 ).
- Paul Johann Anselm von Feuerbach, Merkwürdige Kriminalrechtsfälle (Gießen 1808; 1811).
- Hermann von Pückler-Muskau, Briefe eines Verstorbenen. 4 Bde; 1.–2. Theil: Ein fragmentarisches Tagebuch aus England, Wales, Irland und Frankreich, 1828–29 (Stuttgart 1831).
- Edward Gwynn (ed. and trans.), The Metrical Dindshenchas. 4 Bde; Bd 4, Dublin, nachgedruckt 1991 (Erstdruck 1906), Gedicht auf Magh Slecht, p. 19ff.
- William Henry Bartlett, Joseph Stirling Coyne, Nathaniel Parker Willis et al., The Scenery and Antiquities of Ireland: Illustrated in one hundred and twenty engravings, from drawings by W. H. Bartlett With Historical and Descriptive Text, 2 vols. (London 1841).
- Johann Peter Hebel, Kannitverstan, Rheinländischer Hausfreund 1808.
Selected further reading
- R.A. S. Macalister, 'Silva Focluti', Journal of the Royal Society of Antiquaries of Ireland, Seventh Series, Vol. 2, No. 1, Jun. 30, 1932, 19–27.
- Theodor Spoerri, Genie und Krankheit. Eine psychopathologische Untersuchung der Familie Feuerbach. Basel/New York 1952.
- Sibylle Schönborn, Das Buch der Seele: Tagebuchliteratur zwischen Aufklärung und Kunstperiode, Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Band 86, Tübingen: Niemeyer, 1999.
- Alfred Kröner, Die Familie Feuerbach in Franken (Magisterarbeit), Aufklärung und Kritik, Sonderheft 6/2002, S. 84f.
- Pádraig Ó Riain, A Dictionary of Irish Saints (Dublin 2011) (with bibliography).
- Eoin Bourke, Poor Green Erin (Frankfurt am Main 2011) [with English translation of extracts from Dobeneck's letters].
- Mark Bence-Jones, A Guide to Irish Country Houses, second edition, London 1990.
- David Hicks, Irish country houses: a chronicle of change, Cork 2012. (This treats contry houses in general, but has nothing about Northland House.)
- For further details about Northland House, see http://www.parksandgardens.org/places-and-people/site/2439/references and http://archiseek.com/2010/northland-house-dungannon-co-tyrone/
- You will find more details about the contemporary packet boat service between Calais and Dover at https://doverhistorian.com/2015/03/21/packet-service-to-1854/
- Professor emeritus Ulrich Harsch, who maintains the website 'Bibliotheca Augustana' has made available scans of Helene's letters from 1831 and 1832 (written in Strasbourg and Paris) at http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Dobeneck/dob_intr.html.
The edition used in the digital edition
Dobeneck, Magdalena von (1843). Briefe und Tagebuchblätter aus Frankreich, Irland und Italien, mit einem kleinen Anhang von Compositionen und Gedichten. 1st ed. Nürnberg (Nuremberg): Raw.
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Project description: CELT: Corpus of Electronic Texts
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The present text covers pp 29–97 of the volume. An English translation will be made available in May 2019.
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Reference declaration
A canonical reference to a location in this text should be made using “Chapter”, eg Chapter 1.
Profile description
Creation: By Magdalene von Dobeneck, née Feuerbach
Date: 1832
Language usage
- The text is in German. (de)
- Some words and phrases are in French. (fr)
- Some words and phrases are in English. (en)
- Some words are in Irish. (ga)
- Some words are in Italian. (it)
- Some words are in Latin. (la)
- Some words are in Greek. (gk)
Keywords: letters; prose; travel; Paul Johann Anselm von Feuerbach; Northern Ireland; Dungannon; Northland House; 19c
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- 2019-04-29: Text added from pages 92–97 which were made available online by Ulrich Harsch (https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Dobeneck/dob_b091.html_ et sqq) (ed. Beatrix Färber)
- 2018-03-20: List of errata supplied by ulrich harsch integrated into text. (ed. Beatrix Färber)
- 2018-03-05: Bibliographic details communicated by ulrich harsch added. (ed. Beatrix Färber)
- 2017-10-20: Typos corrected, items added to bibliographic details, and more footnotes added. New wordcount made. File reparsed; new SGML and HTML files created. (ed. Beatrix Färber)
- 2015-03-20: File proofed (2), SGML and HTML files created. (ed. Beatrix Färber)
- 2015-03-19: TEI header completed, XML file parsed and validated. (ed. Beatrix Färber)
- 2015-02-15: TEI header created. (ed. Beatrix Färber)
- 2014-12: Text scanned, proofed and encoded. (ed. Beatrix Färber)
- 2014-12: Hardcopy edition made availabe for scanning. (donation Professor Eoin Bourke)